Das Elektro-Duo The Chemical Brothers pflegt auf “Further“ erneut eine basslastige Tanzmusik die Samples und Indie-Blitze verquickt.

Hamburg. Mit einer langen Rückkopplung fängt es an. Quälend. Kreischend. Wie ein schneidender Laserstrahl in kalter Nacht. Plötzlich eine softe Hippiestimme, die sich emportragen lässt, "Lifting Me Higher". Ach ja, bitte. Im nächsten Lied wabert ein analoger Synthesizer, als stünde er kurz vor dem Kurzschluss. Dann entschließt er sich, aufzudrehen wie ein Flugzeugmotor. Dumpfe Technorhythmen setzen ein. Das geht dann zwölf Minuten weiter so im Song "Escape Velocity".

Tom Rowlands und Ed Simons, besser bekannt als das britische Elektro-Duo The Chemical Brothers scheinen es in den Songs ihres neuen Albums "Further" wirklich sehr eilig zu haben. Berstend und hart rasen da die Big Beats, jene von ihnen mitbegründete, basslastige Tanzmusik, die Samples, House, Funk-Geräusche und Indie-Blitze miteinander verquickt. Selten halten sie für ihre Hörer eine wärmende Melodie bereit. Auch prominente Mikrofongäste hört man hier nicht, anders als früher mit den Stimmen von Richard Ashcroft oder Bernard Sumner. Alle im Laufe der Jahre angehäuften Geräte wurden scheinbar einmal unter Strom gesetzt.

Aber schließlich trugen Rowlands und Simons, die 1989 beim geisteswissenschaftlichen Studium in Manchester aufeinandertrafen, schon immer einen starken Kunstwillen vor sich her. Und schon immer ließen sich Zeitströmungen aus ihren durchdachten Werken ablesen. Lange hielten sich die beiden in ihren Anfängen nicht damit auf, als Pausenfüller auf Hochzeiten Platten aufzulegen. Die Keimzelle der Rave-Kultur der 90er, der heute abgerissene Hacienda-Club, wurde ihr Wohnzimmer. Als Dust Brothers starteten sie mit verwegenen Remixen. Wegen einer Namensklage mussten sie sich nach dem Debüt "Exit Planet Dust" in The Chemical Brothers umtaufen.

Sie gingen nach London, veröffentlichten einige EP's und remixten Songs von The Prodigy oder den Manic Street Preachers. Wo die Britpopper Damon Albarn mit Blur und Noel Gallagher mit Oasis in der Blair-Ära mit Britpop die politischen Reflexionen der studentischen Jugend einfingen, lehrten sie die Kids das Tanzen. In die Nähe dumpfer Ibiza-Beats kamen sie dabei nie. Ihre Elektronik fühlte sich stets wissend an. Der Klang erinnert in all seiner lärmenden Raufaserigkeit ohnehin eher an Rock. Das gefiel auch den Studenten. The Chemical Brothers schufen einen universell hörbaren Sound.

Fünf ihrer sechs Alben landeten sichere Nummer-eins-Hits in den britischen Charts, verkauften sich weltweit millionenfach. Auf einen veritablen Single-Hit musste das Duo allerdings trotz früher Erfolge tatsächlich bis 2005 warten. "Galvanize" von dem Album "Push The Button" (2005) wurde zum Tanzflurfeger, obwohl der Trip Hop in Agonie feststeckte und elektronische Musik als mausetot galt.

Man könnte auch "Further" mit seinen episch ausgewalzten Soundlinien als monoton und stagnierend empfinden. Für jedes der acht Stücke hat der langjährige Live-Show-Kollaborateur Adam Smith (aka Flat Nose George) einen kleinen Film gedreht. Der Sound ist die passende Soundtapete für Stadion-Visionen im Breitwandformat. In dem Kraftwerkartig startenden "Horse Power" durchzuckt auch mal ein echtes Pferdewiehern die nervösen Beats. Und in "Swoon" ringt sich das Duo doch noch zu einer versöhnlichen Reprise mit der ganzen Power des Westcoastpop auf. Die Zeiten der endlosen Partynächte sind einem globalen Kater gewichen. "Further" ist für diese Erkenntnis die perfekte Tonspur.

Nach der Krise ist eben auch der Rave nicht mehr das, was er mal war.

The Chemical Brothers: Further, EMI Music, bereits erschienen; www.thechemicalbrothers.com