In Björn Kerns Das erotische Talent meines Vaters wird gestaunt

"Nimmst du eigentlich was?" Aus der Frage des Sohnes wird nicht genau deutlich, ob er Drogen oder Potenzmittel meint. Philipp ist jedenfalls erstaunt über die Vitalität seines Vaters Jakob. Dieser lebt in einer etwas heruntergekommenen Villa am Bodensee, ein älterer italienischer Freund und zwei Geliebte sind die einzigen Personen, mit denen Jakob sich umgibt - oder besser abgibt. Manchmal wird dem braun gebrannten, muskulösen Mann mit dem vollen Haupthaar die Nähe der beiden attraktiven Frauen zu viel, und er schmeißt sie aus dem Haus. Nur der Dottore mit seinen kleinen lukullischen "Schweinereien" genießt dann Zutritt.

Der Titel von Björn Kerns Roman deutet die verkehrte Welt schon an, die der 32 Jahre alte Autor beschreibt: "Das erotische Talent meines Vaters" klingt nach Unterlegenheit des Sohnes in Liebesdingen und nach ungebrochener Potenz des Vaters. Dabei führt der ehemalige Manager lediglich ein freies Leben, nachdem er, finanziell wohlgestellt, aus dem Berufsleben ausgeschieden ist. Iris, seine etwas durchgeknallte Hippie-Frau, hat ihn vor zwei Jahren verlassen, und Jakob kann jetzt den Dingen frönen, auf die er Lust hat: Getränke mit rauschhafter Wirkung, Frauen mit erotischer Ausstrahlung und sein Ruderboot, das ihm Ruhe und weitere körperliche Befriedigung bietet. Philipp kommt die Welt seines Vaters fremd vor. Er selbst lebt als Krankenpfleger in Berlin, das Medizinstudium hat er nicht geschafft, seine Freundin Marie ist nach Marseille zurückgekehrt. Sein Vater hält ihn für einen Versager und Spion im Auftrag der Mutter, eine Kommunikation mit dem Sohn findet nicht statt. Gespräche bleiben an der Oberfläche.

Björn Kern macht den Sohn zum Ich-Erzähler und lässt ihn auf diese Libertinage blicken. Das entbehrt nicht der Komik, weil der Sohn so gar kein Verständnis für die Freizügigkeit des Vaters hat. Immer wieder kommt es zu Situationen, die von Philipps geordneter Welt in Berlin weit entfernt sind. Dabei feiert sein Vater keinesfalls ständig Orgien, aber er genießt sein Leben, ohne sich Gedanken über das Morgen zu machen.

"Das erotische Talent meines Vaters" gäbe eine wunderbare Filmvorlage für einen französischen Regisseur und Michel Piccoli in der Vaterrolle ab. Den Sohn würde man wohl mit einem deutschen Jung-Schauspieler besetzen: spießig, ordentlich und mit einem Helfersyndrom ausgestattet. Es passiert nicht viel zwischen den Hauptfiguren, aber das Wenige beschreibt der Autor sehr pointiert und detailreich. Sein Roman ist ein leichter Sommerroman mit herrlichen Schrullen. Welchen Sinn etwa hat ein Neoprenanzug, wenn man zur Geliebten geht? Philipp weiß darauf keine Antwort. Das Vertraute wird zum Fremden. Normalerweise sagen Eltern zu ihren Kindern: "Ich verstehe euch nicht!" Hier ist es andersherum.

Björn Kern: Das erotische Talent meines Vaters C. H. Beck Verlag, 189 Seiten, 18,95 Euro