In Germany, oh Germany schreibt der Engländer Simon Winder amüsiert über - uns

Das deutsche Walhalla steht auf einem Hügel an der Donau, und Simon Winder, der britische Lektor, schätzt an der teutonischen Ehrenhalle, der Erfindung Prinz Ludwig von Bayerns, Folgendes: "Die Ausstattung ist etwa zu zwei Dritteln Aufklärungszauber und zu einem Drittel alles, was an Deutschland durchgeknallt ist." Die germanische Hall of Fame, in der deutsche Könige und Kaiser stehen, Reihen um Reihen weißer Marmorbüsten, sollte man mal besucht haben. Denkt man sich bei der Lektüre des winderschen Ausflugs.

In der Heldengalerie stehen auch "blutrünstige frühmittelalterliche absurde Gestalten wie Totila, der Ostgotenkönig, und Hengist, der erste angelsächsischen Siedler in England", berichtet Winder. Am Ende kommt Walhalla übrigens ganz gut bei ihm weg, dort sind ja auch Albert Einstein und Sophie Scholl zu sehen. Gute Deutsche.

Winders "Germany, oh Germany" trägt den Untertitel "Ein eigensinniges Geschichtsbuch", im englischen Original heißt es "Germania" und verweist lediglich auf eine "persönliche Geschichte". Das ist es. Eine überaus persönliche, das schöne Wort "Idiosynkrasie" ist im Englischen übrigens gebräuchlicher als im Deutschen. Das könnte damit zu tun haben, dass sich die Engländer mehr noch als andere darüber definieren, was sie mögen und was sie eben nicht mögen. Deutsches mögen sie in der Regel nicht. Umso verwunderlicher, dass "Germania" in England ein kleiner Hit wurde, oder eher: Logisch, dass sich "Germania" regen Publikumsinteresses erfreute. Denn die Überempfindlichkeit gegen manche Phänomene ist ein inneres Movens von Winders Buch. Es wird bisweilen ziemlich heftig gelästert, aber wenn man sich darauf einlässt, macht genau das diesen Parforceritt durch Deutschlands Geschichte und Kultur aus. Es wird hemmungslos abgeurteilt und gerade am Anfang des Buches wirklich jedes geschichtliche Ereignis auf die Nazi-Zeit bezogen. Kann man machen, muss man aber nicht. Winders Text, in dem er die deutsche Geschichte (und en passant die abendländische) seit dem Mittelalter bis zum Nationalsozialismus durchgeht, beruht auf den mannigfachen Reisen des erklärten Deutschland-Liebhabers und viel Lesestoff. Deutsch kann Winder übrigens nicht, dafür hatte er beim Bummeln durch Museen und über Marktplätze, beim Besuch der zahllosen Adelsresidenzen kübelweise Spott dabei. Es ist köstlich, was der beredte Brite ventiliert, so allerlei und allerhand: Dieser Herzog ist grässlich, jener Landstrich wahnsinnig und Preußen sowieso jämmerlich. Winder ist unbedingt parteiisch, und seine Liebe gehört den Habsburgern. Als Engländer ist man Teilhaber eines gänzlich anderen nationalen Narrativs, und angesichts der deutschen Kleinstaaterei erscheint doch vieles recht skurril. Jedenfalls so absolut anders als das britische Empire.

Winder bezeichnet Webers "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" als "berühmt närrisches Werk". Worauf einem Soziologen wohl nicht mehr viel einfällt, überhaupt ist der launische Text Winders ein unbedingt bornierter. Es ist manchmal zynisch und meistens sehr amüsant, wie ein englischer Scharfrichter zum Beispiel die Ästhetik der Deckenmalereien in hiesigen herrschaftlichen Gebäuden aufs Korn nimmt oder so ziemlich jeden Ort als langweiliges Nest beschreibt (das Hamburger Rathaus findet er potthässlich, den Buckingham Palace aber auch). Nun gut, Winder kommt aus London, seine Reisziele liegen zumeist in tiefster deutscher Provinz. Er wird sie schon lieben, irgendwie, sonst würde er nicht immer wieder hinfahren. Sein Buch jedenfalls ist erfrischend, trotz Hitler-Manie.

Simon Winder: Germany, oh Germany Rowohlt Berlin, 458 Seiten. 19,95 Euro