Die US-amerikanische Außenseiter-Ikone Beth Ditto und ihre Band Gossip geben im Stadtpark ein umjubeltes Konzert

Hamburg. Manchmal hilft eben doch ein Lied, um eine ungerechte Welt in eine etwas freundlichere zu verwandeln. Beth Ditto steht auf der Bühne des Stadtparks, blinzelt aus schwarz umrahmten Kleopatra-Augen in die Menge und stimmt mit hohem Sopran "Here Comes The Sun" an. In derselben Sekunde reißt die Wolkendecke auf. "Hello sun", winkt die Sängerin dem Himmel zu. Und breitet die Arme aus, als wolle sie gleich die ganze Welt an ihren üppigen Busen drücken.

Ditto und ihre Band Gossip bewegen derzeit mehr als nur Regenwolken. Sie rütteln mit ihrem mitreißenden Discopunk den Musikmarkt auf. Setzen sich nonchalant über gängige Marktmechanismen hinweg. Propagieren kämpferisch die gleichgeschlechtliche Liebe - und sind damit höchst erfolgreich.

Auch das ausverkaufte Konzert im Stadtpark gerät vor rund 4000 Zuschauern zur großen Party. Zugegeben, der discotaugliche Elektropunk von Gossip wäre in einer geschlossenen Halle noch besser aufgehoben gewesen. Aber auch in der Botanik zucken schon nach wenigen Takten die Hüften im Rhythmus. Hunderte Fußpaare tanzen sich in den schlammigen Boden.

Beth Ditto fegt über die Bühne. Jeder Zoll eine Naturgewalt. Die Kleopatra-Augen korrespondieren mit einem wehenden Wallawalla-Kleid samt Goldpfeilen, das einer ägyptischen Königin würdig gewesen wäre. Wirklich herrschaftlich muss man ihre Stimme nennen. Mit dem berühmten lasziv-süßlichen "Uhuhu" setzt sie an. Und mit "Yeah Yeah" legt sie nach. Wenige Takte später dreht sie in ihrem Hit "Heavy Cross" zur voluminösen Bluesrockröhre auf. Lichtblitze in guten alten 80er-Jahre-Neonfarben peitschen die Stimmung in der Menge auf.

An dieser Frau ist alles ein wenig größer. Die Popwelt rund um den Globus verehrt sie - nicht nur wegen ihrer Stimme. Weil sie eine lebensbejahende Haltung vertritt und gängige Schönheitsklischees mit der Wucht von geschätzten 100 Kilo Körpergewicht, verteilt auf gut eineinhalb Meter Größe, durchbricht. Ditto ist das egal. Sie hat es hüllenlos auf das Cover des Modemagazins "Love" gebracht und nackt für den "New Musical Express" posiert. Schon 2006 wurde sie von diesem zur "coolest person in Rock" ausgerufen. Und spätestens seit Karl Lagerfeld, der bekennende Size-Zero-Fan, in dieser Frau (die von sich sagt, sie sei eine "fette, feministische Lesbe") eine neue Muse erkannt hat, huldigt ihr auch das geschmackliche Establishment. Teils bewundernd, teils befremdet. Beth Ditto aber traut dem Hype um ihre Person selbst nicht so recht. Sie weiß, dass sich der Rubenslook nicht als Schönheitsideal durchsetzen wird, bloß weil man sie "Obama der Fetten", nennt.

Über der Lichtgestalt Beth Ditto gerät ihre famose, um einen Tourbassisten erweiterte Band fast ins Hintertreffen. Mit der flächendeckend tätowierten Schlagzeugerin Hannah Blilie, die seit 2003 bei Gossip trommelt, und dem androgynen Gitarristen Nathan Howdeshell aka Brace Paine stehen ihr zwei musikalische Schwergewichte zur Seite. Außenseiter wie sie und erfüllt von der Mission, sich in einer normierten Welt nicht unterkriegen zu lassen. Billie sorgt für glasklare Beats. Paine schrubbt seine Gitarre, als ob er ein störrisches Pferd zähmt. Der Sound ist bis auf wenige Synthieklänge streng auf das klassische Trio konzentriert.

Üblicherweise steht Ditto die zweite Konzerthälfte im knappen Mieder durch. In Hamburg ist es der Diseuse zu kalt. Die auslaugende Tour, die an diesem Abend ihr vorläufiges Ende erreicht, zehrt an den Kräften und fordert stimmlichen Tribut. Was nicht weiter auffällt, weil Ditto trotz kleiner Krächzer ihrer Soulröhre alles abverlangt. Sie lässt es derbe rocken in "Yr Mangled Heart" oder "8th Wonder". Gut, die Rhythmen, zu denen Frau Ditto herrlich burschikose Tänze hinlegt, ähneln sich verdächtig, und auch ihre Stimmlage variiert die Sängerin selten. Doch dem ekstatischen Gestus der Gossip-Musik kann sich hier niemand entziehen. Manchmal lässt sie auch die Pop-Sirene raus, wie in der Beziehungshymne "Love Long Distance". Die Setlist setzt sich überwiegend aus den Hits des aktuellen, von Überproduzent Rick Rubin (Johnny Cash, U2) massentauglich gebügelten Albums "Music For Men" zusammen. Ergänzt um einige ältere Stücke, wie die grandiose Ode für Zivilcourage "Standing In The Way Of Control" vom gleichnamigen Vorgängeralbum.

Wenn Ditto vom "Dimestore Diamond" singt, einer würdevollen Metapher für ein armes Landei mit selbst gefertigtem Haarschnitt und billiger Klamotte, erinnert sie sich womöglich an ihre eigenen Anfänge. In der Enge einer Provinzstadt im homophoben Bible Belt ist sie aufgewachsen, im Wohnwagen, als eines von sechs Kindern einer alleinerziehenden Mutter. Das überstandene Elend hat ihre Identität gestählt und ihr Rebellentum beflügelt. Mit ihrer Band aus ebenfalls queren Außenseitern, damals war noch Drummerin Kathy Mendonca mit an Bord, floh sie in die feministische Riot-Grrrl-Musikbewegung in Portland, Oregon.

Heute plaudert sie sich längst mit einer Extraportion Herzlichkeit durch ausverkaufte Konzertabende. Und sorgt dafür, dass die Massen ausflippen. "Verlasst euch ganz auf mich. Ich bin stark."

Nach eineinhalb Stunden ist die Setlist abgesungen. Doch Ditto hat noch einen. Der Tina-Turner-Klassiker "What's Love Got To Do With It" erlangt mit den funky Gitarren neuen Schwung. Zur Mitsinghymne gerät "I Will Always Love You" von Drama-Queen Whitney Houston. Beth Ditto ist auf dem Wege, beide Ladys zu beerben. Nein, die Welt wird nicht einfach besser, aber die rettende Kraft des Souls, Blues und Punk hat sich mit Gossip aufs Neue bewiesen.