Der Hamburger Künstler Paul Wunderlich ist tot. Er wurde weltweit geschätzt, doch seine Heimatstadt ehrte ihn nie mit einer großen Ausstellung

Hamburg. Im 13. Kapitel des Matthäus-Evangeliums heißt es: "Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seinem Vaterland." Obwohl der Maler Paul Wunderlich eher das Alte Testament bevorzugt hat und sich zum Beispiel von Salomons Hohem Lied anregen ließ, dürfte ihm das sprichwörtliche Matthäus-Zitat vertraut gewesen sein, schon weil er die darin beschriebene Erfahrung selbst gemacht hat: In der Nacht zum Montag ist der weltbekannte Künstler in St. Pierre de Vassols in der Provence im Alter von 83 Jahren an einem Gehirnschlag gestorben, ohne jemals in seiner Heimatstadt Hamburg mit einer großen Einzelausstellung geehrt worden zu sein.

Wunderlich wurde zwar in Eberswalde bei Berlin geboren, doch in Hamburg hat er in der Landesschule am Lerchenfeld studiert, hier hat er gelebt und gelehrt, hat Freundschaften und Feindschaften gepflegt und den größten Teil seines Werks geschaffen. Er hat die unterschiedlichsten Einflüsse aufgenommen, sich der verschiedensten Techniken bedient, hat experimentiert, sich gewandelt und ist sich doch treu geblieben. Seine Zeichnungen, Radierungen, Gemälde und Plastiken kreisten fast immer um existenzielle Themen, um Liebe und Tod, Ekstase und Destruktion.

Er war 33 Jahre alt, als die Hamburger Staatsanwaltschaft die Blätter seines erotischen Lithografie-Zyklus "qui s'explique" beschlagnahmen ließ. 1960 konnte ein Hamburger Staatsanwalt "unzüchtige Abbildungen" noch einfach aus dem Verkehr ziehen. 25 Jahre später bekam Wunderlich sie zurück, kommentarlos. Dem Renommee des Künstlers war die Beschlagnahmung nur zuträglich, kurz darauf erwarb das New Yorker MoMA den umstrittenen Zyklus und außerdem noch die Folge "20. Juli 1944", in der er mit am Galgen hängenden verstümmelten Körpern an Hitler-Attentäter um Stauffenberg erinnert.

Wunderlichs Werke werden von Fabelwesen bevölkert, sie sind erotisch und träumerisch, erinnern an Alte Meister, vor allem aber an die Surrealisten. Neben Gemälden und Arbeiten auf Papier schuf er Plastiken aus Bronze und Marmor, Möbel oder Armreifen, Colliers und Broschen. Das sei allzu kommerziell, urteilten Kritiker. Wunderlich meinte dazu: "Ich beging die Todsünde, die Grenze zwischen Kunst und Kunstgewerbe zu überschreiten."

Nicht zuletzt diese Grenzüberschreitungen haben seine Popularität befördert. Wunderlich, der mit der Fotografin Karin Székessy verheiratet war und mit ihr eine jahrzehntelange Arbeitspartnerschaft unterhielt, stellte in großen Museen in Tokio und Mailand, in San Francisco, London und Paris aus.

Als seine Geburtsstadt Eberswalde 2007 ihr neues Verwaltungszentrum Paul-Wunderlich-Haus nannte, reiste Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Eröffnung an. Die Ausstellung zu seinem 80. Geburtstag richtete nicht etwa die Hamburger Kunsthalle aus, sondern das Schleswig-Holsteinische Landesmuseum Schloss Gottorf. Vielleicht wird Hamburg sich seiner posthum annehmen. Dann ginge es ihm ähnlich wie seinem Künstlerfreund Horst Janssen, dem die Kunsthalle auch erst zwei Jahre nach seinem Tod das JanssenKabinett in der Galerie der Gegenwart einrichtete.