Eva Menasse liest heute aus “Lässliche Todsünden“

Hamburg. "Lässliche Todsünden", ist das nicht ein Widerspruch in sich? Die in Berlin lebende Wiener Schriftstellerin Eva Menasse hat mit diesem Titel für die sieben Geschichten ihres Erzählbandes aber ziemlich genau unser Zeitgefühl getroffen. Da gilt zwar Mord noch als Todsünde. Beim Ehebruch sehen wir das aber bereits lässiger. Auch Gefräßigkeit und Wollust leben viele heute aus, ohne sich dabei besonders sündig zu fühlen. Habgier, Zorn, Hochmut und Neid speichern wir inzwischen da ab, wo wir auch maßlose Banker oder korrupte Politiker verorten: Sie sind die Wurzel allen Übels im menschlichen Zusammenleben.

Genau darum geht's in Menasses Geschichten, um Beziehungen, zumeist zwischen Bildungsbürgern, denen moralisch gesehen kaum noch Schranken gesetzt sind und die deshalb auch keine Tragödien mehr erleben sondern allenfalls Krisen, Abstürze, Einbrüche. Erlaubt ist, was gefällt. Solange es stilvoll und nicht spießig ist. Menasses Helden sind Journalisten, adelige Unternehmer, Geliebte, abgewiesene Ehemänner, frustrierte Lehrerinnen, Patchwork-Familienmitglieder, Freigeister, die selbstironisch und lässig Verletzungen mit sich herumtragen, über die sie witzeln und müde lächeln. Gefühlskälte, Verrat, Intrigen - das Leben mäandert weiter, und wer Verletzungen zeigt, hat schon verloren. Unter dem Motto "Sind wir nicht alle Sünder?" wird jede Verfehlung lässig, also verzeihlich. Woran sollen wir uns jetzt orientieren?

Natürlich gibt Eva Menasse keine Antworten auf diese Frage. Sie führt, in ihrer alten Heimat Wien, stilistisch brillant, Neurotiker und arme Würstchen vor, die auf lässlichen Sündenpfaden wandeln. Zum Thema Neid lässt sie Menschen beim Leichenschmaus zusammenkommen. Zum Thema Gefräßigkeit sucht eine Lehrerin, die erotische Annäherung an ihre Lieblingsschülerin. Und zum Thema Trägheit gelingt ihr ein müder Frauenheld. Menasse seziert virtuos und raffiniert komplizierte Beziehungsgeflechte und zeichnet mit diesen Sündern ein wunderbares Sittenporträt. In diesem Milieu aus Missgunst und Missverständnissen, aus Unordnung und Untreue gärt das Unglück der Mittelschicht, dass es eine wahre Freude ist. Und das Komische ist: Man erkennt so vieles wieder.

Lesung mit Eva Menasse, heute, 20.00, Alfred- Schnittke-Akademie International (S Altona), Max-Brauer-Allee 24, Karten: www.altonale.de/Karten oder T. 39 80 69 70, Eintritt 7/5 Euro