Durch die Nacht mit der Hamburger Band Superpunk, deren neues Album jetzt erschienen ist. Eine ausgiebige Kieztour mit Musik.

Hamburg. "Der Häftling liebt irgendwann auch seine Zelle, wenn er nichts anderes hat", sagt Carsten Friedrichs. Typisch. Die Lakonie sitzt eng wie der Trenchcoat, den er trägt. Und sie ist Markenzeichen der Texte, die der Sänger und Gitarrist für seine Band Superpunk schreibt. So, wie er über seine Heimat Hamburg urteilt, in Hassliebe, mit Süffisanz, nölt-singt der lang gewachsene Frontmann auch über Zahnersatz und ehrliche Männer.

Von denen sind reichlich zugegen in der "Doppelschicht", einer Bilderbuch-Pinte am Hein-Köllisch-Platz. Der satt unterarmtätowierte Wirt begrüßt Lars Bulnheim mit Handschlag. Der Gitarrist, elegant gescheiteltes Haar, schicker Kurzmantel, ordert ein Pils 0,3 in der Tulpe ("Ich mag die so gerne, diese kleinen Champagnerbiere"), Friedrichs bestellt ein 0,5 ("Wie gemalt!").

Als "blitzgescheite Genussmenschen" werden die fünf Freunde von Superpunk auf dem Infoblatt zu ihrem sechsten Album angepriesen. Und was bietet sich da mehr an, als mit den Herren ebenjene rauchverhangenen, schnapsdampfenden, musikumspielten und windumwehten Orte aufzusuchen, wo sie am unverblümtesten aufscheint, "Die Seele des Menschen unter Superpunk", wie die Anfang Juni erschienene Platte betitelt ist. Bei einer kleinen Kieztour lässt es sich vortrefflich plaudern. Über Gott und die Welt, Fußball und Hamburg. Und über Musik.

"Die Doppelschicht ist schön pubmäßig, nicht so szenig. Hier kommen Jung und Alt zusammen", urteilt Bulnheim über seine Stammkneipe, in der er auch Sparklub-Mitglied ist und sich auf das jährliche Auszahlungsessen freut. "Die Musikbox hat 100 000 digital gespeicherte Titel. Hier geht Lars hin zum Konkurrenzvergleich", frotzelt Friedrichs. Über seinem Kopf schwingt Hans Albers in Schwarz-Weiß das Akkordeon. Unter dem Foto die Inschrift: "Meine Heimat ist die Waterkant". Wer mit Superpunk um die Häuser zieht, hat das Gefühl, mit Wiedergängern des spröde-charmanten Hanseaten unterwegs zu sein. Die Stadt lieben, die Stadt verfluchen. Und ihr Hymnen singen. Wie "Hamburg ist der Platz für Dich" von dem 2008er-Album "Why Not?".

In der Hamburger Musikszene ist die Band eine Bank, so solide wie die Fässer, die in der Doppelschicht als Tische dienen. Keine Zeitgeist-Anbiederung. Die Songs rumpeln im dreckigen Retro-Sound zwischen Northern Soul, Punk und Garagenrock dahin. Die Texte handeln auch auf dem neuen Album gerne von unkaputtbar Nostalgischem wie dem "Ford Escort" oder den Mods, der sixties-affinen Jugendkultur. Das Cover ist ein altes Foto des Hamburger Star-Club-Fotografen Günter Zint, das Halbstarke vor einer Bühne zeigt.

Die Gäste, die in der Doppelschicht friedlich in ihre Bierkronen gucken, wirken, als hörten sie leise im Ohr die neue Nummer "Ich will heute nicht kämpfen". Bis ein bulliger Typ, der offensichtlich schon ein längeres Bierkronen-Studium absolviert hat, lauthals anhebt: "Haa, Ääs, Vauu." Der Gegengesang lässt nicht lange auf sich warten: "Saankt Paulii", ertönt es aus der Kneipensüdkurve. Friedrichs steigt unvermittelt ein: "Haaa, Äääs, Vauhau." Die verwundete Seele ist erwacht. "Gott ist tot", hat er ob der missratenen Saison seines Herzensvereins schon zu Beginn des Abends festgestellt, an der ersten Station, auf der Party-Barkasse "Hedi".

Zwei Stunden zuvor, an den Landungsbrücken, ist der Himmel hafengrau, die Brise steif. Friedrichs schlägt den Kragen hoch. Beide begrüßen DJ Benny vom Revolverclub, der zwischen Klo und Bar an den Plattentellern steht. Großes Hallo. Bunte Hunde unter sich. Die Wellen wogen hoch. Bulnheim sichert seinen braunen Holzkoffer, in dem er Dutzende von Vinyl-Singles transportiert. Später wird er im Hafenklang an der Großen Elbstraße auflegen. Raren Soul. Ein Sammler, der für einen musikalischen Schatz schon mal dreistellige Summen hinblättert.

Damals, zum "Hedi"-Start Anfang der Nuller-Jahre, hatte er selbst noch die schwankenden Planken beschallt. "Das war mir aber zu anstrengend, da musste ich so sehr auf meine Platten aufpassen." Wie auf Kommando rollt das Boot noch heftiger über das Wasser. "Mir ist ein bisschen blümerant", sagt Friedrichs knapp und verstummt. Doch als eines der "Aida"-Kreuzschiffe seinen roten Kussmund an der Nussschale vorbeischiebt, muss er doch kurz den Spott auspacken: "Das ist das hässlichste Schiff aller Zeiten. Was müssen das für schlimme Reisen sein."

Zurück an Land geht's über die Doppelschicht weiter in die Holsten Schwemme in der Finkenstraße. Kiez-Hinterland. "Ernie, der Wirt, hat mal als Schiffsvertäuer gearbeitet", weiß Bulnheim und verweist auf die Knoten an der Wand mit plastischen Namen wie "gepresstes Auge" und "Kettenwirbel".

"Komm, wir werfen jeder 'nen Zweier in den Daddelautomaten", schlägt Friedrichs vor und stellt sich vor den Automaten. Schnell sind die Münzen verspielt. In der Luft steht Nikotin. Die Gespräche kreisen um Ikonen ("Nichts geht über die Four Tops") und Literatur. "Ein leichter Muff, aber erhabene Stille, niemand lacht über die neue Brille", heißt es in dem neuen Song "In der Bibliothek". Gemeint ist die Hamburger Öffentliche Bücherhalle am Hühnerposten. "Aber so ein Wortungetüm käme im Song nicht so gut."

Ihr aktuelles Video zu "Das Feuerwerk ist vorbei" verlegen die Jungs daher lieber wieder in eine Schankwirtschaft, da lebt das Quintett seine spröden Schrullen aus. Friedrichs im Smoking als "gut aussehender Bursche, ein bisschen so wie Sean Connery". Bulnheim als Bauarbeiter. Schlagzeuger Thorsten Wegner als zerstreuter Professor. Keyboarder Thies Mynther als Toilettenfrau. Und Bassist Tim Jürgens, als Neu-Berliner der einzige Exil-Superpunker, in Polizeiuniform. Das Stück ist, auch wenn es von "der Flüchtigkeit des Glücks" kneipenphilosophiert, flotter Discosoul. Ganz so, wie Bulnheim ihn im Hafenklang spielt.

Die Discokugel wirft ihre Lichter auf das Kopfsteinpflaster am Fluss. Wegner hat Posten hinter dem DJ-Pult bezogen, die Hörer überm Pilzkopf, die Singlehülle im Mund vor lauter Geschäftigkeit. Soulstücke sind kurz, da ist schnelles Handeln gefragt. Füße schieben sich immer flinker über den Holzboden, bis die Tänzer nur noch lächeln. So, wie Friedrichs auf "Die Seele des Menschen ..." preist: "Er nimmt dich mit, oh, dieser Sound, und trägt dich fort, oh, dieser Sound, in eine andere Zeit, an einen besseren Ort."

"Die Seele des Menschen unter Superpunk" (Tapete Records). Album-Release-Party: 12.6., Grüner Jäger, ab 23.00; Superpunk live: 25.9., Reeperbahnfestival