Das britische Neil Cowley Trio setzt im Stage Club auf Spielfreude und Komplexität

Stage Club. Großbritannien hat die Jazzwelt mit vielen bemerkenswerten Musikern beschenkt - von John McLaughlin über Dave Holland und Tony Oxley bis zu John Surman. Aber die Auswahl an großartigen britischen Jazz-Pianisten blieb lange Zeit vergleichsweise klein. George Shearing, John Taylor und Keith Tippett, stilistisch kaum miteinander vergleichbar, waren bis in die 90er-Jahre hinein ziemlich die Einzigen, die auch auf dem Festland wahrgenommen und geschätzt wurden.

Der kleine Popjazz-Meteorit Jamie Cullum, ein Kind des 21. Jahrhunderts, spielt zwar auch sehr schön Klavier und zettelt seine Bühnen-Ekstasen meist vom Flügel aus an. Aber Cullums Ruhm verdankt sich mehr seinen Qualitäten als Sänger, Songschreiber, Performer und Mädchenschwarm.

Trotzdem machen britische Pianisten neuerdings häufiger von sich reden. Nach Django Bates und Gwilym Simcock ist es jetzt vor allem Neil Cowley, der Ruhm und Ehre außerhalb des Vereinigten Königreichs erspielt. Das Trio, das er heute in den Stage Club führt, lässt an Bands im Stile von Medeski, Martin & Wood oder e.s.t. denken, also an Gruppen, die sich eher als improvisierende Rockband verstehen denn als Jazz-Kombo.

Auch Cowleys Trio lebt vom extrem dichten Zusammenspiel des Pianisten mit seinen Begleitern, dem Bassisten Richard Sadler und dem Schlagzeuger Evan Jenkins. Die Musiker lassen sich von einem aus der Rockmusik entliehenen Energieverständnis antreiben, wollen aber nicht auf die Wonnen höherer Komplexität des musikalischen Geschehens verzichten, wie sie für den Jazz typisch sind.

So bildet etwa im Song "Hug The Greyhound" vom dieser Tage erschienenen dritten Album "Radio Silence" ein simpler Oktavsprung, der wie ein Vogelruf klingt, die Keimzelle des Stücks, das dafür sonst von vielen rhythmischen Fallstricken durchzogen ist. "Monoface" hebt wie eine lange Ozeanwelle aus unberechenbaren Wassermassen allerlei harmonisch sonderbares Treibgut auf seinen Kamm und wirft es in mehreren Anläufen aus den heimischen Lautsprecherboxen an den Ohrenstrand. Auch das Titelstück "Radio Silence" bezieht seine Wucht aus einer fast schon unheimlichen Dünung; wie eine Ballade, die ihre Leidenschaftsausbrüche nur mit Mühe im Zaum halten kann.

Die Band liebt starke dynamische Steigerungen und Wiederholungen. Dabei folgt sie einer rhythmischen Konzeption, die sich eher an punktierten oder geraden als an triolisch swingenden Strukturen orientiert. Sie vermittelt dem Hörer immer wieder das Gefühl, die Musik steuere auf ein Ziel zu, auf eine Klimax.

Cowley, 37, betrat die Welt als Wunderkind. Mit zehn Jahren spielte er eins von Schostakowitschs Klavierkonzerten in der Queen Elizabeth Hall, doch die Klassik-Liebhaber verloren ihn bald ans Publikum der Pubs. Als Teenager tingelte der Pianist mit einer Blues-Brothers-Coverband durch Londons Kneipen, später spielte er bei den Brand New Heavies. Nichts davon verdrängt er in seiner Musik, Schostakowitsch & Co. scheinen etwa im Stück "Desert To Rabat" auf. Cowleys makelloser Anschlag verrät in jedem Takt das klassische Training, selbst wenn er mit 17 den Klavierunterricht für beendet erklärte.

Oft wirken Jazzkonzerte wie ritualisierte Bewunderungsanlässe für instrumentale Fähigkeiten und individuellen Ausdruck der Musiker. Das Neil Cowley Trio spielt auf seiner neuen Platte so sehr im Bewusstsein eines Ganzen, das mehr ist als die Summe seiner Teile, dass sein Ehrgeiz darin liegen dürfte, auch ein Klub-Konzert wie das heutige zu einem kathartischen Erlebnis für alle Besucher zu machen.

Neil Cowley Trio heute 19.00, Stage Club (S Holstenstraße), Stresemannstr. 163, Karten zu 20,05 im Vvk.; www.neilcowleytrio.com