Das Stück “Ein Fräulein wird verkauft“ wurde zum missglückten dramatischen Experiment im St.-Pauli-Theater.

Hamburg. Was hätte aus diesem Stoff werden können ... Ödön von Horvaths Gedankenspiele über die Grenzen der Moral in Zeiten der Arbeitslosigkeit hatten unter dem bösen Titel "Ein Fräulein wird verkauft" am Donnerstag Premiere im St.-Pauli-Theater. Regisseurin und Autorin der Textfassung war Dania Hohmann. Sie destillierte die Geschichte der Unschuld, die den Verhältnissen in den krisengeschockten 20er-Jahren in unterschiedlichem Tempo zum Opfer fällt, aus zwei Prosa-Texten von Horvath. So entstand ein 80-minütiger Theaterabend, der zumindest in den beiden Frauenrollen brillant besetzt ist (Anneke Schwabe spielt die pragmatische Anna, Laura de Weck die zögerliche Agnes). Aber auch 80 Minuten können ganz schön lang werden.

Hohmanns Text setzt durch schlichte Wiederholung seiner dramatischen Versuchsanordnung auf das Platte, Blöde und Stereotype in den Verführungs- und Anmachversuchen der Männer. Eugen, der verdruckste Liebhaber (Christian Bayer); Herr Kastner, der Profiteur (Mirko Thiele), und der draufgängerische Maler und Autofahrer (Rino Galiano) blieben entsprechend blass.

Die identischen Ausgangssituationen hätten eigentlich eine gute Folie für die unterschiedlichen Reaktionen und Wege von Anna und Agnes abgeben müssen. Beide Frauen nehmen das Angebot an, bei einem Künstler Modell zustehen, bei dem die sogenannten "besseren Kreise" ein- und ausgehen. Gelingt ihnen so der Einstieg in den Aufstieg? Natürlich nicht.

Und der Autorin gelingt es nicht, innere Entwicklungen spürbar zu machen. Was sich da auf der Bühne abspielt, wirkt überwiegend verkopft und nur selten gelebt. Gewissensbisse, Rechtfertigungen, Schuldzuweisungen? Bleiben blass. Aber auch die Idee eines dramatischen Tests der Praxistauglichkeit von Moral kommt nicht recht über den Bühnenrand. Die Handlung zieht sich so vorhersehbar, so statisch und spannungslos hin wie ein U-Bahn-Fahrplan.

Laura de Weck spielt Agnes Pollinger, die aus einer Erzählung Horvaths stammt. Ein schüchternes Mädchen von fester und lustfreier Moral, das sie nicht so leicht aufgibt und gegen Anstürme und Übergriffe aus dem männlichen Umfeld hartnäckig verteidigt - bis fast zuletzt.

Anneke Schwabe setzt ihr eine selbstbewusste Anna Pollinger entgegen, die aus Horvaths später entstandenem ersten Roman kommt. Anna arrangiert sich rasch mit den neuen Umständen. Alleinstehend, arbeitslos und zu Hause von einer strengen Tante genervt? Wer sich den Verhältnissen nicht quer in den Weg stellt, könnte es doch zu etwas bringen ...

Schade, dass Hohmanns eher eng geführte Regie den beiden Hauptdarstellerinnen kaum Freiraum lässt für Ahnungen, Schauder, Zweifel, Spannung. Alles wirkt eindimensional und zugetextet - da ist kein Platz für die existenzielle Krise, die beide Figuren durchleiden, allem Einsatz von de Weck und Schwabe zum Trotz.

Und die ansehnlichen 20er-Jahre-Kostüme (Susann Günther) müssen so überflüssig oft fallen, dass Anna und Agnes, wenn es dann zum Äußersten kommt, leider fast keine Fallhöhe mehr bleibt.

Großartig und überzeugend ist allerdings die Schauspielmusik des jungen Hamburger Komponisten Manuel Richard Weber, hoch expressionistische Streichquartettsätze, die, aus den Seitenlogen heraus gespielt, deutlich mehr Dramatik, Verwirrung und Existenzangst signalisieren als alles, was auf der Bühne geschieht. Davon hätte man gern mehr gehört.

Ein Fräulein wird verkauft. Nächste Vorstellung: 7. Juni, 20.00 Uhr, St.-Pauli-Theater, Spielbudenplatz 29-30