Ekstasen der Stille: Keith Jarrett und Charlie Haden im Duo

Es gibt Keith Jarrett, den Meister der komplexen Klavierimprovisation, dessen wie goldene Lava aus seinem musikalischen Kosmos simultan herausströmenden musikalischen Ideen den Hörer sprachlos machen. Und es gibt Keith Jarrett, das Nachtgewächs, den unprätentiösen Sänger, den Ekstatiker der Stille.

Vor einigen Jahren nahm er, gepeinigt vom chronischen Erschöpfungssyndrom, ein paar Stücke im Kämmerlein als Weihnachtsgeschenk für seine damalige Frau auf - Musik ohne jeden Virtuosen-Anspruch, die unter dem Titel "The Melody, At Night, With You" schließlich doch ihren Weg zum Plattenkäufer fand. Sein mit dem Bassisten Charlie Haden im Duo entstandenes neues Album "Jasmine" gehört in die Kategorie dieser kostbaren, raren jarrettschen Nachtmusiken.

Die Platte ist die Frucht gemeinsamen Improvisierens vor drei Jahren im Haus des Pianisten. Davor hatten die beiden zuletzt in Jarretts "amerikanischem Quartett" Ende der 70er miteinander gespielt. Der Flügel ist in suboptimalem Zustand, aber Jarrett gefiel es gerade so, "informell und ein bisschen funky". Der Sound ist für ECM-Verhältnisse knochentrocken. Die Aura kommt ganz aus den Fingern der Musiker und aus ihrer Persönlichkeit.

Die acht Balladen sind schlicht und schön und intim gespielt. Haden grundiert das reflektierte jarrettsche Ebenmaß der Klänge mit dem für ihn typischen Minimum an stets wundervoll miteinander verbundenen Tönen. Seine Basslinien und -tupfer laufen wie ein inniger, fast frommer Hymnus unter dem Seidengeflecht der Akkorde.

Jeder von Instrumentalisten interpretierte Jazz-Standard müsste seinem Wesen nach ein Lied ohne Worte sein. Doch nur selten fühlt man sich beim Hören derart in emotionale Tiefen hineingezogen wie hier. Die Ballade "One Day I'll Fly Away" machen die beiden zu einem Versprechen der Selbstverwirklichung, dem doch die Vorläufigkeit solcher Fortflüge aus dem Grau schon eingeschrieben ist. Und ihr "Goodbye" gäbe ein für Hinterbliebene tröstliches Grablied ab. Für uns Jenseitskandidaten ein Genuss schon zu Lebzeiten.

Keith Jarrett / Charlie Haden: "Jasmine" (ECM)