Zu Tode betrübt, himmelhoch jauchzend: das Solokonzert von Rufus Wainwright auf Kampnagel

Hamburg. Im Foyer und vor Konzertbeginn Aushänge und die Ansage, man möge bis zur Pause von "Huldigungen" absehen. Interessante Wortwahl. Vielleicht hat Rufus Wainwright in den letzten Jahren mehr Robert-Wilson-Inszenierungen gesehen, als es gut tut, glaubt man danach, als er mit meterlanger schwarzer Gothic-Schleppe und Federstehkragen im Dämmerlicht zum Flügel vor einer Videoleinwand schreitet, wie eine Nosferatu-Version von Liberace. Gesamtkunstwerk, ick hör dir trapsen, ist man bei so viel Bedeutungsballast versucht zu lästern. Und ist dann doch fasziniert.

In der ersten Hälfte seines Konzerts auf Kampnagel zelebrierte der an sich ja geniale Singer/Songwriter seinen Liederzyklus "All Days Are Nights: Songs For Lulu" als eine Art Privatrequiem für seine kürzlich gestorbene Mutter, die Folksängerin Kate McGarrigle und Ex-Frau des Folksängers Loudon Wainwright III. War es anrührend, morbide, zugekitscht und über-"camp" oder schlicht überfordert, was dort als Live-Version seines neuen Albums ablief, während Douglas Gordons Video Wainwrights schwarz geschminktes Auge tränenfeucht in Zeitlupe zeigte? Auf jeden Fall war es typisch für einen Sänger, der wie kein anderer davon und damit lebt, die Bühne als Therapiecouch zu bespielen.

Die Weihestunde am Flügel litt allerdings unter dieser Mehrfachbelastung. Wainwrights Fingerfertigkeit als Ziseleur für die Einfassung von Pop-Perlen vertrug sich nicht so recht mit dem Ehrgeiz, die Klavierbegleitung immer so stimmsynchron hinzubekommen, wie er sie komponiert hat. In einer stellenweise arg verhuschten Grauzone zwischen Wainwright, Gershwin, Brahms, Porter, Rachmaninow und eben auch Liberace pompöste es ziemlich manieristisch durchs Halbdunkel. Was schade war, denn das Material an sich hat einen enormen Reiz, der so viel sehnsüchtiges Schielen auf die Akzeptanz durch das Hochkulturelle gar nicht gebraucht hätte. Gäbe es Pop-Operetten mit Strass und der Sehnsucht nach den überlebensgroßen Akkordfolgen der Spätromantik, Wainwright wäre für jede Hauptrolle erste Wahl. So aber blieb nach dieser dunklen Diva-Performance ein Eindruck leichter Verstörung und Überzuckerung zurück.

Das änderte sich nach der Pause, als wäre nie was gewesen. Wainwright gab in seinen Zwischenansagen das frohgemute Dandylein mit niedlicher Glitzerweste und dreckigem Lachen. Der Entertainer wollte wieder raus, raus nach dem Trauerkondukt, ran an den Speck des lustigen Lotterlebens jenseits der Psychosen seiner Künstlerfamilie, über die er witzelt, als ginge es um nur eine Sitcom. Dafür präsentiert er ein Best-of-Rufus-Bündel vor allem früherer Songs, die sich auch ohne großes Begleitorchester allerliebst und in gewohnter Lässigkeit am Flügel begleiten lassen. Jubel, Trubel, gelöste Heiterkeit, bis als letzte Zugabe der "Walking Song" seiner Mutter kommt, der im längst erwachsenen Sohn doch wieder das vereinsamte Kind anklingen lässt.