Das Hamburger Musikerkollektiv Brixtonboogie kombiniert, was keiner für möglich hält. Seine Tour begann im Uebel & Gefährlich.

Hamburg. Hoppla! Wo kommt denn auf einmal dieser Wind her? Dieser Sound, der nach vorne fegt und das Herz mitreißt? Nachdem die Band Beggar Joe aus Manchester mit solidem Mucker-Blues im Uebel & Gefährlich höchstens ein laues Stimmungslüftchen fabrizierte, hat sich der geneigte Zuhörer am Dienstagabend schon auf eine akustische Flaute eingestellt. Doch als mit dem Hauptact Brixtonboogie Mascha Litterscheid, Tochter von Frank Elstner, die Stimme erhebt, wird das sehr gemischte Publikum von hurricane-artiger Wucht gepackt.

Die im Vergleich zur übrigen hochgeschossenen Band kleine Chanteuse verkörpert so gar nicht die TV-Biederkeit des Vaters. Mit dicker, schwarz glänzender Haartolle, mit Hemd, Krawatte, Weste und vor allem mit ihrem voluminösen Organ bewegt sie sich stilistisch irgendwo zwischen starken Popfrauen wie Amy Winehouse, K.D. Lang und Beth Ditto. Ihr Gesang changiert von betörend-dunkel bis humoristisch-quiekig, von Soul bis Rap. Und selbstbewusste Zeilen wie "You never had a love like me" präsentiert sie mit angemessen spöttischem Blick.

Doch das Kollektiv, das der Hamburger Produzent Krisz Kreuzer zusammenhält, baut nicht auf die Rampensauerei einer Frontfrau. Vielmehr musizieren da neun grundverschiedene Charaktere zusammen. Eine lässige, groovende Bande, die sich einem Ziel verschrieben hat, wie Kreuzer vor dem Tourauftakt in Hamburg erzählt: "Der Reiz des Projekts liegt darin, aktuelle Musikstile in den Blues zurückzuführen. Denn historisch betrachtet ist der Blues ja die Wurzel für die meiste Popmusik." Seinen Erweckungsmoment für Brixtonboogie erlebte Kreuzer vor fünf Jahren, als in seinem Studio im Feldstraßenbunker ein moderner Beat in der Anlage lief, während er in seiner Plattensammlung stöberte. "Da entdeckte ich alte Schätze von John Lee Hooker und Muddy Waters." Alt und neu kombiniert nennt der 48-Jährige "Urban Blues" - ebenso wie das Album, das bei Frank Ottos Plattenfirma ferryhouse productions erschienen ist.

Und um diesen Mix von Gospel bis zum Depeche-Mode-Coversong adäquat zu basteln, scheint die Band wie nach dem "Lindenstraßen"-Prinzip zusammengesetzt: Für jede Zielgruppe ist was dabei. Da wäre - neben Mascha Litterscheid - etwa der Oldie der Truppe, Wayne Martin, ein schwarzer Blues-Sänger alter Schule, der aus New Orleans über Stockholm nach Berlin kam.

Der 68-Jährige verfügt nicht nur über ein herrlich erdiges Timbre, sondern auch über slapstickhaftes Mienen- und Körperspiel. Kontrastiert wird sein klassisches Storytelling von Rap-Einlagen des gerade einmal 19-jährigen Hamburgers A-Jay. "Er war der Junge, der frisch war. Der den Blues verstanden hat", erzählt Kreuzer von seiner Nachwuchssuche bei der Hip-Hop-Academy Billstedt. Seine Verbalkunst darf A-Jay im Uebel & Gefährlich direkt neben die Wortakrobatik von Gaststar Sammy Deluxe stellen, der mit "Sprech wie ich sprech" für Toleranz plädiert.

Fest steht: Brixtonboogie huldigt nicht der Klageseite des Blues, bei der der Protagonist in einem Song Frau, Auto, Haus und seinen Glauben verliert. "Wir betonen den Unterhaltungsaspekt", erklärt Kreuzer. "Denn auch früher wurde zu Blues in den Spelunken schon gesoffen, gehurt und gefeiert."

Auch Bluesgitarrist Micky VanWolfen, ganz der coole Hund mit Cowboyhut und Sonnenbrille, und DJ Suro, komplett in roter Sportswear, bilden so etwas wie symbiotische Gegenspieler. Sounds vom Plattenteller fügen sich da zu dreckigen Riffs, als habe der liebe Gott das stets so vorgesehen. Hoppla!

Live: 28.7., Duckstein-Festival, Fleetinsel Hamburg