Themen wie Emigration, Armut und Alter können auch komisch sein. So wie in Marina Lewyckas Roman über multikulturelle Freundschaften

Jemand wie Marina Lewycka kommt im Literaturbetrieb gewöhnlich nicht vor. Die Hochschullehrerin schrieb mit 58 Jahren ihren Erstlingsroman, "Eine kurze Geschichte des Traktors auf ukrainisch". Trotz seines sperrigen Titels wurde er zum Bestseller, für den renommierten Booker Prize nominiert und in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Denn der Slapstick über einen 84-jährigen Immigranten in England, der seine Leidenschaft zu einer vollbusigen Blondine aus der Ukraine entdeckt und nicht nur damit seine erwachsenen Töchter irritiert, ist unterhaltsam, berührend, komisch und literarisch wunderbar geschrieben. Eine sehr seltene Kombination.

,,Caravan", Lewyckas zweiter Roman, erschien 2007. Die ausgelassene Sozialsatire über moderne Lohnarbeits-Sklaven in England ist sogar noch besser. 600 000 von Lewyckas Werken sind inzwischen bei uns verkauft worden. Kein Wunder, dass auch Marina Lewyckas neuester Roman "Das Leben kleben" ganz schnell auf die Bestsellerlisten rutschte. Wer einmal Lewycka gelesen hat, wird wohl auf jedes neue Buch von ihr neugierig sein, wird mit ihren Helden mit ihren schiefen Träumen, entgleisenden Familien und bauernschlauen Lebensrettungsaktionen durch den Alltag stolpern wollen. Wer ihre Bücher noch nicht kennt, sollte es schleunigst ändern, denn Lewyckas Romane haben ein Geheimnis.

Sie erblickt komische Situationen dort, wo es für andere Menschen ernst wird. In den Risiken der Immigration und des Alters beispielsweise. Oder in der Plackerei, die das Leben für Arme, Hässliche und Ohnmächtige bereithält. Ob Menschenhändler, Ökokommunarden, primitive Proleten oder zickige Intellektuelle - Lewycka bedient herrlich alle Klischees und gibt den schrulligen Typen in ihren schwarzen Komödien ein menschliches Gesicht. "Schwarze Komödien sind sehr osteuropäisch", hat Lewycka einmal gesagt. Sie weiß, wovon sie spricht. Ihre Eltern entstammen der Ukraine und sie wurde nach dem Krieg in einem Camp für "displaced persons" in Kiel geboren, bevor die Eltern nach England ausreisen durften.

In "Das Leben kleben" geht es um eine skurrile, störrische, komische Alte, Naomi. Sie hat die Nazis überlebt und jagt mit Leidenschaft Sonderangeboten nach. Am Müllcontainer trifft sie auf Georgie, eine Mittvierzigerin und Möchtegern-Autorin, die an einem Groschenroman arbeitet und ihren Lebensunterhalt damit verdient, für ein Klebstoff-Fachmagazin zu schreiben. Georgie wurde gerade von ihrem Mann verlassen und zu ihren fast erwachsenen Kindern findet sie keinen Zugang. Als Naomi ins Krankenhaus kommt, gibt sie Georgie als nächste Verwandte an. So trifft Georgie gierige, aber sexy Immobilienmakler und palästinensische Klempner nebst nichtsnutzigen, aber freundlichen Neffen. Und dann geht es auch schon gleich um den Israel-Palästina-Konflikt und den Holocaust. Große Themen, die Lewycka mit ihren verschrobenen Figuren und deren zweifellos ungewöhnlichen Reaktionen spielerisch einfängt.

Denn sie hat nicht nur ein Ohr fürs Groteske, sie hat auch das Talent, Situationen auf den Punkt zu bringen. Georgie schließt Freundschaft mit Naomi, die in einem schönen, aber streng riechenden Haus mit Katzen lebt, das ihr zwei Makler abluchsen wollen. Sie verguckt sich in einen Immobilienhai, mit dem sie beim Sex ein Handschellen-Unglück erlebt, hat unschöne Begegnungen mit der Geliebten ihres Mannes und einer Sozialarbeiterin, die Naomi ins Heim stecken will. Ihr Sohn surft obsessiv im Internet. Kurz: Georgies Leben ist eine dramatische Mischung aus sexuellem Frust, misslungenen Versuchen, etwas Interessantes zu schreiben oder eine gute Mutter zu sein, sowie ständigem Bereitschaftsdienst für eine verschrobene Emigrantin, die ihr das unappetitlichste Mahl kocht, das je in einem Buch auftauchte. Warum das trotzdem alles zusammenpasst und viel Lesevergnügen bereitet?

Klebstoff hält alles zusammen, verbindet Menschen und Schicksale. Lewycka überstrapaziert die Metapher nicht. Sie erzählt von Freundschaft und Anarchie, von auffälligen Menschen, die man im wahren Leben meiden oder mindestens übersehen würde. Hier sagen sie aber furchtbar komische Sätze, und dann mag man sie richtig gern. Wer eine Botschaft mitnehmen will, der erfährt, dass uns Menschen mehr verbindet, als uns trennt. Erst am Ende geht die Geschichte etwas aus dem Leim, als plötzlich alles wieder gut wird. Vielleicht ist es nicht Lewyckas bester Roman. Aber er ist immer noch sehr gut. Denn die Autorin kann nicht nur lebendige, wache Menschen erfinden. Sie beglückt uns immer wieder mit deren unerschütterlichem Optimismus.

Marina Lewycka: Das Leben kleben. Deutsch von Sophie Zeitz, dtv premium, 460 S., 14,90 Euro