Wer von Literatur leicht zu konsumierende Unterhaltungsware erwartet, ist bei Patrick Modiano fehl am Platz. Die Bücher des 1945 geborenen und hierzulande noch viel zu wenig bekannten Romanciers verlangen vom Leser Aufmerksamkeit und die Lust, sich auf komplexe, ästhetisch anspruchsvolle Gedankenspiele einzulassen. Sein 1968 erschienener Erstling, zuvor nie ins Deutsche übertragen, ist ein erstaunliches Buch. Mit großem Eifer befasst sich Modiano darin - ganz ungewohnt für die damalige Zeit in Frankreich, als man den braunen Spuren der eigenen Vergangenheit nur unwillig nachging - mit der deutschen Okkupation während des Zweiten Weltkriegs und mit der beschämenden Rolle, die nicht zuletzt französische Intellektuelle dabei spielten.

In einem Feuerwerk von Anspielungen umkreist Modianos Roman die Frage jüdischer Identität und nimmt zahlreiche Themen und Motive aus späteren Büchern (wie "Ein Stammbaum") vorweg. Raphaël Schlemilovitch - diesen sprechenden Namen trägt Modianos Hauptfigur, ein Jude, der eine fingierte Autobiografie vorlegt. Was er darin ausbreitet, ist ein chronologisches Verwirrspiel, das Raphaël in den unterschiedlichsten Rollen zeigt: als Liebhaber Eva Brauns, als Jude in der savoyischen Provinz, wo er Mädchen für ein brasilianisches Bordell akquiriert, oder als Karrierist, der edle Pariser Ausbildungsstätten erobern möchte. Zum Teil tief gefallene Geistesgrößen wie Maurice Sachs, Céline, Brasillach oder Drieu la Rochelle irrlichtern durch diesen Roman, und an Reprisen aus der Literatur - Marcel Proust nicht zuletzt - herrscht kein Mangel. Modiano persifliert und zitiert, wodurch "Place de l'Étoile" (ein doppeldeutiger Titel ohnehin, der den Platz des Judensterns und den heutigen Place Charles de Gaulle im Pariser Westen meint) zum Kaleidoskop wird. Die Übersetzerin Elisabeth Edl ist in ihrem klugen Nachwort vielen dieser Fährten nachgegangen und hilft so, diesen auch nach über 40 Jahren quälend guten Roman besser zu verstehen.

Patrick Modiano: Place de l'Étoile. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Elisabeth Edl. Carl Hanser Verlag, 190 Seiten, 17,90 Euro.

In "Aufgeblättert" stellen im Wechsel Rainer Moritz, Annemarie Stoltenberg (NDR) und Wilfried Weber (Buchhandlung Felix Jud) ihre Buchtipps vor.