Justine Lévys Roman Schlechte Tochter ist ein Emotionsrausch um das Muttersein

Manchmal ist es nur ein Wimpernschlag, der Euphorie vom Traurigsein trennt, Liebe von Hass, das Leben vom Tod. Kurioserweise sind dies nicht nur die Momente der größten Verunsicherung, sondern auch Momente von großer Klarheit. Selbsterkenntnis unter dem Vergrößerungsglas sozusagen. Aus diesem Gefühlszwiespalt heraus hat Justine Lévy ihren Roman "Schlechte Tochter" aufs Papier gebracht - weshalb es nicht verwundert, dass sich die 170 Seiten lesen wie ein einziger Emotionsrausch: assoziativ, traumwandlerisch, leicht durchgeknallt.

Aber wie sollte es auch anders sein? Manchmal weiß man sich eben nicht anders zu helfen, als ein bisschen durchzudrehen. An Tagen etwa, an denen Louise, die Hauptfigur, nicht nur den angekündigten Brustkrebstod ihrer Mutter verkraften muss, sondern auch ihre ungeplante Schwangerschaft im dritten Monat. Das eine Leben kommt, das andere Leben geht. Was für eine natürliche und irgendwie auch perverse Gleichzeitigkeit sich das Schicksal manchmal doch ausdenkt.

Es sind Tage zwischen Krankenhaus (Mutter) und Frauenarzt (Baby). Zwischen Gewissensbissen (ein romantischer Trip nach Rom statt Händchenhalten und Gutzureden am Krankenbett) und den eigenen Ängsten: "Ich habe Angst, ich rauche, ich werde eine schlechte Mutter sein, ich kann keine Windeln wechseln, ich war nie Babysitter, Kinder interessieren mich nicht, ich hasse Kinder, warum muss ausgerechnet ich ein Kind kriegen?"

Schon in ihrem vorigen Roman "Nicht so tragisch" hat die Autorin niemanden verschont, am wenigsten die Protagonistin - und damit also sich selbst. Das Buch machte 2004 aus zweierlei Gründen Furore: Nicht nur ist Lévy als Tochter des großen Schriftstellers und Intellektuellen Bernard-Henri Lévy (genannt BHL) in Frankreich keine Unbekannte. Auch und vor allem aber spielt jene Frau eine Schlüsselrolle, die, einige Männer später, die Ehefrau des französischen Präsidenten werden sollte: Carla Bruni. Unschwer als ihresgleichen zu erkennen schnappte das Model Lévys Alter Ego Louise den Mann weg, die sich daraufhin mit Tabletten vollstopfte. Bonjour Tristesse.

Roman und Wirklichkeit haben sich schon immer überlagert bei Justine Lévy. Das hat sie zu ihrem Markenzeichen gemacht - und wie nebenbei dafür gesorgt, dass ihre Werke bei Erscheinung das Tuschelthema Nummer eins in den einschlägigen Pariser Cafés sind. Dieser Schlüsselloch-Perspektive verdanken ihre Bücher einen Großteil ihres Reizes, der selbstironische Blick auf die eigene Situation tut ein Übriges.

"Schlechte Tochter" ist, wenn man so will, der literarische Gegenentwurf zu all den heiteren Baby-Ratgebern, die Namen tragen wie "Mama, eine Gebrauchsanweisung" oder "Knete und Psychoanalyse". Die einem weismachen wollen, dass alles geht mit einem bisschen gutem Willen und der nötigen Opferbereitschaft, auf jeden Zweifel kommt ein praktischer Tipp. Davon, dass das Leben Büchern wie diesen manchmal ein Schnippchen schlägt, erzählt Justine Lévy in atemlos aneinandergereihten Sätzen, ungeschönt und mit offensivem Trotz.

Sie spricht aus, worüber sonst nur hinter vorgehaltener Hand geredet wird. Woher weiß eine Schwangere, wie sie schwanger zu sein hat? Wie, um alles in der Welt, lernt man, eine gute Mutter zu sein? Und wieso ist da auf einmal kein Platz mehr für die eigenen Bedürfnisse, für ein gesundes Stück Egoismus? Antworten gibt es keine auf diese Fragen, doch es bleibt das tröstliche Gefühl, dass sich, nach dem Tod der Mutter und der Geburt der Tochter, ein Kreis geschlossen hat. Das Leben geht weiter.

Justine Lévy: Schlechte Tochter. Kunstmann Verlag, 175 Seiten, 17,90 Euro