Um den Tanz in den Mai kommt deshalb keiner rum

Es naht die Nacht der schwindelerregenden Versprechungen: "Auf dem Partyfloor wird die Menge mit Danceclassics der 80er & 90er und aktuellen Chart Hits zum Kreischen gebracht", steht in einer Ankündigung zum Tanz in den Mai im Club Festplatz Nord. "Im ganzen Haus des Schmidts Tivoli wird zu erstklassiger Livemusik geschwoft", meldet Corny Littmanns Theater auf der Reeperbahn. "Im Glanz & Gloria gibt's die besten Supersahneschlager zum Mitsingen in prachtvollem Ambiente." Und über die "Radio-Hamburg-Mega-Mai-Party" erfährt der vergnügungssüchtige Nachtschwärmer: "Auf mehreren Dancefloors kann das Tanzbein geschwungen werden."

Die Sehnsucht des Menschen nach Entgrenzung durch den Tanz hat in unserem Kulturkreis einen einzigen gesellschaftlich sanktionierten Tag im Jahr, genauer: eine Nacht. Es ist die vom 30. April auf den 1. Mai. Es ist die Walpurgisnacht, in der, heidnischem Brauch zufolge, einst der Winter und die bösen Geister ausgetrieben wurden, und zwar von Hexen. Weil sie starke Frauen waren, haben sie aus dem kosmischen Großreinemachen ein wildes Fest gemacht. Nach getaner Säuberungsarbeit klemmten sie sich die Besen zwischen die Beine und sausten damit durch die Lüfte, die den Brocken im Harz umtosten. Ältere Semester, die Wörter wie schwofen und Tanzbein noch im aktiven Wortschatz führen, erinnern den Schauplatz auch als Blocksberg. Der Enkelgeneration fällt bei diesem Namen allenfalls Bibi Blocksberg ein. Aber tanzen in der Walpurgisnacht, tanzen in den Mai: Das wollen die Jungen auch.

Nachdem die Kirche in ihrer Barmherzigkeit alle Hexen verbrannt hatte, musste sie feststellen, dass der Maitanz sich als feuerfest erwies. Die Leute wollten von dem Brauch nicht lassen. Durch die Zeiten hindurch schleppten sie am letzten Apriltag einen Baum aus dem Wald, schmückten ihn, stellten ihn auf dem Dorfplatz auf und tanzten um die Linde oder Birke oder was der Wald so hergab an frischem Grün. Bewohner rivalisierender Dörfer klauten sich den Maibaum gegenseitig. In manchen Gegenden Deutschlands schafft sich die Lust am Schabernack noch heute ein Ventil, etwa durch das geheime nächtliche Aushängen und Verstecken von Nachbars Garagentor oder das unbemerkte Umparken seines Mopeds.

Der nach einem harten Winter aufkrachende Frühling - dieser Tage wieder aufs Schönste in Hamburg zu bestaunen - muss gefeiert werden, denn er lässt auch in uns Menschen die Säfte steigen. Wikipedia berichtet, früher habe es in der ersten Maiennacht rituelle Liebesakte auf den Feldern gegeben, auf dass die Natur sich vom menschlichen Willen zur Fruchtbarkeit was abgucke und in Mutter Erde eine reiche Ernte reifen lasse. Heute sind wir mit solchen Akten auf dem Acker vorsichtiger. Vielleicht nur, weil wir uns der Gefahr nicht aussetzen wollen, dabei von Saatgut ausbringenden Treckern überrollt zu werden. Vor allem aber, weil wir Städter die Mainacht kaum auf dem Land verbringen, sondern bei Maibowle oder Maibock oder Bionade in einem der Clubs, Freizeitheime oder Bürgerhäuser, die zum Tanz in den Mai locken.

"Einmal noch beben, eh' es vorbei / Einmal noch leben, lieben im Mai!", heißt es in einem Couplet aus der Operette "Walzertraum". Gemeinsam in den Mai zu tanzen kann die Liebe zwischen zwei Menschen neu entfachen. Paare, die nicht mehr zusammen in den Mai tanzen, sollten darin einen Trennungsgrund sehen. Tanz in den Mai ist gefährlich; er kann Ehen stiften und ihr Ende einläuten. Dass er alles neu mache, ist die maßloseste Behauptung, die man über einen Monat je gehört hat. So viel traut der Volksmund dem Mai zu. Dabei wissen alle, dass er ein Schwindler ist, ein Schwindligmacher aber auch - wenigstens in seiner ersten Nacht.

Parties am 30.4.