Eine Schule des Sehens: Im Martin-Gropius-Bau ist die erste Berliner Ausstellung von Raumkünstler Olafur Eliasson zu bestaunen.

Berlin. Dieses Riesenchaos mit dem Vulkan neulich, das war doch bestimmt kein Zufall. Die Ascheschleuder mit dem unaussprechlichen Namen Eyjafjallajökull, von der die Welt daran erinnert wurde, wie egal der Natur die Menschen sind, ist Isländer. Olafur Eliasson ist auch dort aufgewachsen. Und jetzt öffnet in der Nähe seines Bastel-Zentrums in Berlin eine große, punktuell großartige Ausstellung, die dem Meister der poetischen optischen Täuschungen und Rauminszenierungen viel Platz gibt, um Momente des Staunens ins Leben zu bringen, wo sonst keine sind und die Routine herrscht. Schönes Timing. Vielleicht.

Obwohl schon der Begriff "Ausstellungseröffnung" auch etwas Verkehrtes hat und das schöne Timing des Museums wieder ins Rutschen bringt. Die Schau mit dem raffiniert doppelbödigen Titel "Innen Stadt Außen" hat nämlich, still und leise, längst begonnen, zeitlich und auch räumlich hat sie sich von ihrer traditionellen Verpackung losgelöst. Vor einem Jahr hat der Kunst-Professor Eliasson ein "Institut für Raumexperimente" für seine Kunststudenten gegründet, und genau das nutzt er nun hier. Ahnungslose Passanten werden an einer Ecke des Martin-Gropius-Baus mit künstlichen Nebelschwaden verwirrt, die sie dezent aus einem Fenstersims heraus anpusten.

Dass irgendetwas stellenweise anders ist in und mit ihrem Stadtraum, haben die Berliner jedoch schon in den letzten Wochen gemerkt. Auf einmal lagen Baumstämme auf Bürgersteigen herum, Treibholz und Natur-Erinnerung im Häusermeer. Oder es parkten alte Flohmarkt-Fahrräder am Straßenrand, die statt Speichen Spiegel hatten, in denen sich die Umgebung ganz neu und anders betrachten ließ. Torkelnde Kreidelinien irrten, zumindest bis zum reinigenden Regen, wie betrunken durch öffentliche Grünflächen, als temporäre Sabotageakte gegen die kalkulierte Rechtwinkligkeit der bekannten Alltags-Areale.

Alles Absicht. Alles Eliasson.

Die Stämme stammten aus Sibirien; nachdem sie an die Küsten Islands gespült worden waren, wo es so gut wie keine Bäume gibt, ließ Eliasson sie nach Berlin bringen, um sie dort als Fremdkörper im Großstadtalltag aus- und einzusetzen. Die meisten sollen mittlerweile verschwunden sein. Vielleicht, weil sie als Garten-Deko schön anzusehen sind, vielleicht aber auch, weil Hauptstädter Gratis-Objekte eines weltbekannten Künstlers gern mal mitnehmen, solange keiner darauf aufpasst. Auch das ist vielleicht schon Teil des Konzepts. Und falls nicht, ist es Eliasson ebenfalls herzlich egal. "Die Baumstämme funktionieren als Nicht-Kunst genauso gut", erklärte er bei der Präsentation seiner Werke mit großer Gelassenheit. Kunst ist, sobald man was draus macht. Oder eben nicht. Olafur Eliasson liebt das Vielleicht. Das Wort eröffnet so viele Möglichkeiten.

Für den Wahlberliner, dessen Arbeiten ihm weltweit aus den Händen gerissen werden, ist der Prozess des Sehens deswegen auch "ein kultureller Prozess". Im letzten Jahr hat er ein Kinderzimmer für die Hamburger Galerie der Gegenwart entworfen, um von klein auf für ungekünstelte Perspektivwechsel zu sorgen. Die aktuelle Ausstellung in Berlin soll die Beziehung zwischen Kunst und öffentlichem Raum stärken, indem sie wie in einer Art Bedeutungsrätsel-Osmose in beide Richtungen mal verspielte, mal abstrakte Durchlässigkeiten erlaubt. Eliasson will "den Zweifel und die Unvorhersehbarkeit" wieder stärker zulassen, denn "die Zweckfrage ist etwas ganz Gesundes".

Also: Was soll das? Was soll das, wenn man den rechten der beiden Eingänge in den Raum-Rundgang wählt? Durch eine Sauna-Kiefernlatten-Tür hindurch, befindet man sich plötzlich in hubbabubbarosa Kunstnebel, noch radikaler als in der Illuminations-Kiste von James Turrell vor einigen Monaten in Wolfsburg. Und der war schon toll. Von irgendwo weiter vorn in "Your Blind Movement" kommen Stimmen, irgendwo ist womöglich der Ausgang. Vielleicht?

Nach einigen Schritten changiert die Nebelfarbe zu Blau, dann zu Grün. Das eigene Hirn fragt sich verzückt, wie schön ist das denn, bitte? Die Mitwanderer im Nebelmeer suchen ebenso das Draußen. Auf einmal ist man wieder Kind und gluckst glücklich leise vor sich hin. Der Museumswärter auf der anderen Seite vom Nebel des Freuens berlinert nur: "Toll, wa!"

Der Budenzauber, ein Gedicht von einer Ausstellung, hat noch mehr Tolles zu bieten. In "Your Uncertain Shadow" werden die Schatten seiner Besucher durch Bodenlampen zur Grafik. Je mehr den Raum durchqueren, desto vielschichtiger wird die flüchtige Moment-Aufnahme. Man wird Teil von ihr, indem man sie verlässt. "Water Pendulum" braucht nur einen stockfinsteren Raum und sich drehenden Wasserschlauch, dessen Fontänen durch ein Stroboskoplicht zu Bilder-Folgen zerlegt werden.

Das riesige Kabinett aus Spiegelfolie - ein Arbeitsmaterial, das auch im Bühnenbild für Henzes "Phaedra" an der Lindenoper schlicht genial zum Einsatz kam - heißt sinnigerweise "Mikroskop". Es steht im Innenraum des Museumsbaus, reflektiert über seine Besucher genauso wie das Tageslicht aus der Glasdecke. Der Clou: Die Folie ist so sensibel gespannt, dass schon kleine Erschütterungen das Gesamtbild in Schwingungen versetzen. "The Curious Museum" funktioniert nach der Devise "Kommserein, könnserausschaun" - vor einem der großen Fenster steht ein Spiegel. Man sieht nach außen und doch nur auf sich selbst. Einfacher geht es nicht. Poetischer kaum.

Ist Eliasson mit seinem reduzierten Mienenspiel und dem aparten Gitte-Hænning-Deutsch also nur ein harmlos-verträumtes Kerlchen, das gern Kunstwelten in die Welt bastelt? Eine virtuos mit Naturgesetzen jonglierender Mischung aus Daniel Düsentrieb und Caspar David Friedrich, nur ohne Leinwand, wie geschaffen für den Trend zur Wohlfühlkultur, an die sich verängstigte Städter-Seelen kuscheln können, um abzuschalten von Krisendruck und Konsumzwang? Das nun auch nicht. "Die Vereinfachung von Kunst sollten wir nicht unterstützen", sagt er, mit einer Freundlichkeit, die den radikalen Unterton diskret verbirgt.

Bevor Eliasson sich gestern dem überdachten Blitzlichtgewitter der Fotografen vor eine seiner Spiegelwände stellte, kam er aber noch auf die Eyjafjallajökull-Performance zu sprechen. Ob er damit etwas zu tun habe, habe man ihn schon öfter gefragt. "Aber das lasse ich jetzt so in der Luft stehen." Dort, wo bis vor Kurzem noch viel garstige Vulkanasche war. Oder auch nicht. "Möglich ist alles", hat Eliasson einmal gesagt. "Immer."

"Innen Stadt Außen" , 28. April bis 9. August, Martin-Gropius-Bau, Berlin. Bis zum 1. Mai von 10-24 Uhr geöffnet, danach tgl. von 10-20 Uhr. Katalog: 424 Seiten, 29 Euro (Buchhandelsausgabe: 48 Euro). www.innenstadtaussen.de