Revolverheld und Gisbert zu Knyphausen genossen sehr unterschiedliche Heimspiele vor ausverkauften Häusern: “Immer einen Grund zu feiern“ bei Revolverheld in der erhitzten Großen Freiheit

Hamburg. "Ihr seht ja nicht gerade wie Revolverheld-Fans aus." Die beiden hübschen Mädels aus Lüneburg beobachten uns skeptisch, weil wir es uns am Sonntag ganz hinten in der Galerie am einzigen Platz in der ausverkauften Großen Freiheit 36 bequem gemacht haben, an dem man mit Sicht auf die Bühne noch atmen (und paffen) kann. "Keine Angst, wir sind auch keine Fans", sagen die Ladys und - Mist! - drehen sich wieder um.

Unten auf der Bühne fordert die Vorband Rauschenberger die 1500 Besucher auf, laut nach Slayer zu rufen. Also wenn Slayer der apokalyptische Metal-Reiter ist, dann ist Revolverheld "Mein kleines Pony" - das bunte, parfümierte Pferdepüppchen zum Sammeln und Liebhaben. Das ist alles andere als böse gemeint, Revolverheld wirkt nur nach wie vor wie die nette Schülerband von nebenan, die auch im siebten Jahr und nach drei Top-Ten-Alben auf dem Teppich geblieben ist. Soweit das angesichts von Hunderten Mädchen, die schon den ersten passend betitelten Song "Nie erwachsen" aufnehmen wie Nektar und Ambrosia, möglich ist.

Die Ankündigung, dieses Heimspiel für eine Live-DVD aufzuzeichnen, sorgt für zusätzliche Wallungen, dementsprechenden Spaß dürfte der Tonmischer bei "Keine Liebeslieder" und "Die Welt steht still" haben: Das Publikum übernimmt textsicher den Gesang, auch die Lüneburgerinnen kennen jeden Reim. Keine Fans. So, so. Vielleicht wollten die einfach nicht mit der Tür ins Haus fallen, schließlich sind die Revolverhelden keine verheiligten Intellektuellen und Kritikerlieblinge wie Tocotronic oder freie radikale Akustik-Anarchisten wie Egotronic. Johannes Strate, Kristoffer Hünecke, Niels Grötsch, Jakob Sinn und Florian Speer sind Männer um 30 Jahre, sprich große Kinder mit Gitarren, die im Gegensatz zu einem gereiften Melancholiker wie Gisbert zu Knyphausen "Immer einen Grund zu feiern" haben und dementsprechend klingen, laut, ein wenig naiv und immer den Blick auf Augenhöhe nach vorne gerichtet. Die Botschaften sind schlicht, aber prägnant genug, um im täglichen Radiogeplärre aufzufallen.

"Ich höre mich selber laut reden, doch ich weiß nicht, wovon. Is' doch völlig egal, denn ich glaube daran. Ich kann mir vieles erzählen, denn ich weiß, wer ich bin. Und ich strotze vor Kraft, brenn vor Adrenalin", singt Strate im schönen Vorwärtsrocker "Mein Leben ist super" und die "Generation Rock" schwenkt bis in die letzten Reihen der Galerie die Arme, denn in der Tat ist das Leben in (der Großen) Freiheit super, das Gras am anderen Ufer - besungen in "Hamburg hinter uns" - auch nicht grüner. Die DVD-Aufnahme läuft, der Cutter überlegt vielleicht, ob er den langen Balladenteil mit "Längst verloren", "Beste Zeit deines Lebens" und "Mit dir chill'n" später aufteilt, die Handy-Displays leuchten und filmen an der Akku-Ladegrenze.

Die Lüneburger "Nicht-Fans" werden langsam heiser, aber die Revolverhelden nehmen dennoch wieder Fahrt auf und versuchen sich bei den neuen Songs "Um unser Leben" und "Darf ich bitten" nicht wirklich gelungen an synthetischen Deichkind-Beats. Eine Rockversion von "Was geht?" (Die Fantastischen Vier) funktioniert dagegen hervorragend, genauso wie Strates Trennungshymne "Halt dich an mir fest": Direkt nach seiner zerbrochenen Beziehung im ersten Take auf das aktuelle Album "In Farbe" gespielt, treibt der Song tatsächlich die Große Freiheit (und das ganze dort versammelte Lüneburg) in den emotionalen Ausnahmezustand, der nach "Spinner" in minutenlange Fanchöre ausufert. Beeindruckend, findet auch Strate: "Von 600 Konzerten war das die beste Show, die wir je gespielt haben", ruft er und lügt mit Sicherheit nicht.

Und so ist nach 110 Minuten und der letzten regulären Zugabe "Freunde bleiben" immer noch nicht Schluss, der auf Südafrika umgetrimmte EM-Heuler "Helden 2008" gibt den letzten Ton an. Die Lüneburger Ladys sind augenscheinlich zu Fans geworden, und wir könnten fast geneigt sein, es ihnen gleichzutun. Aber zum Glück hat ja irgendwann ein schlauer Mensch den Konjunktiv erfunden.