Für “Die Fremde“ gewann Sibel Kekilli den Deutschen Filmpreis. Heute läuft eine Sondervorführung im Abaton

Die Filmbranche ist von zweierlei besessen: Originalität und Authentizität. Beides miteinander zu verbinden, das gelingt derzeit vielleicht niemandem besser als Sibel Kekilli, die am Freitag beim Deutschen Filmpreis die Lola als beste Hauptdarstellerin gewann. Wo in vielen Filmen Jungschauspielerin A problemlos durch Jungschauspielerin B ersetzt werden kann, ohne dass es dem Zuschauer groß auffallen würde, wirken Kekillis Rollen, ihre beiden Lebensrollen, als könnten sie ohne ihr Zutun nicht existieren. Das galt 2004 für Fatih Akins "Gegen die Wand", das gilt auch sechs Jahre später für Feo Aladags bewegendes Ehrenmord-Drama "Die Fremde", das heute im Abaton-Kino im Rahmen des Lola-Festivals gezeigt wird. Wären da nicht Kekillis schönes Schneewittchen-Gesicht, das beinahe maskenhaft aussehen kann, ihre leise zitternde Wut und schließlich ihr Aufbegehren gegen alles, was falsch läuft im Leben - es gäbe die Filme in dieser Form nicht. Vielleicht die Geschichten, nicht aber die emotionale Wucht.

Von Anfang an verlief die Karriere der Hamburger Schauspielerin etwas anders als bei den meisten Menschen, die heute die Filmlandschaft prägen. Eine Casterin sprach sie auf einer Kölner Einkaufstraße an, ob sie nicht Lust habe und so weiter. - Was klingt wie der sehr naive Traum vieler hübscher Mädchen, sollte tatsächlich für Kekillis zum Schicksalsmoment werden. Sie hat nicht drei Jahre an einer Schauspielschule damit zugebracht, Baumwipfel im Wind zu spielen, zu schreien und zu monologisieren. Sie hat weder Schnitzler noch Schiller noch Ibsen auf der Bühne interpretiert - gut möglich, dass sie deren Stücke nicht einmal kennt. Kekilli kam, sah und spielte. Und man machte es ihr in den folgenden Jahren mitnichten so leicht, wie es rückblickend klingt. So weit zur Originalität.

Wer bei der Filmpreis-Gala auf eine authentische Szene wartete, wurde kurz vor Ende zufriedengestellt, als die 29-Jährige die Bühne erklomm, besser: erstürmte. Gerührt, verwirrt, überwältigt. Ohne Schuhe. Vor ihr der große Christoph Waltz, der mit der Gold-Lola winkte, hinter ihr 1800 Gäste, die den Saal in warmen Applaus tauchten und ihr, dem Kinoküken, den Vorzug gegeben hatten vor ihren Konkurrentinnen: den Großmiminnen Corinna Harfouch, Susanne Lothar und Birgit Minichmayer. Dass Sibel Kekilli die bessere Schauspielerin wäre als diese drei gestandenen, über jeden Zweifel erhabenen Darstellerinnen, würden wohl nicht einmal ihre größten Fans behaupten. Aber darum ging es an diesem Abend nicht. Es ging darum, dass Kekilli, sechs Jahre nach ihrem Überraschungserfolg mit "Gegen die Wand", endlich wieder eine Rolle gespielt hat, die einem nicht mehr aus dem Kopf ging. Willkommen zurück, sagte dieser Preis. Da musste sich Kekilli erst mal hinsetzen vor lauter Freude, mitten auf der Bühne, in ihrem weißen Kleid, in dem sie ein bisschen aussah wie ein schöner Schwan.

Ihre Laudatio, die sie kurzerhand für einen Castingaufruf in eigener Sache nutzte ("Gebt mir Rollen!"), konnte man für rührend halten oder schlicht für durchgedreht - jedenfalls war es der Moment des Abends, über den man auf der anschließenden Party redete. Genauso wie über die Frage, wie es sein kann, dass die Schauspielerin in Dieter Wedels im Januar ausgestrahltem Zweiteiler "Gier" so enttäuschend spielte - und in Feo Aladags Regiedebüt "Die Fremde" dann derart überzeugte. Als junge Mutter Umay, die ihren Ehemann verlässt und mit ihrem kleinen Sohn nach Deutschland zu den Eltern zurückkehrt, macht es Kekilli dem Zuschauer von Anfang an leicht, mit dieser Figur mitzufühlen. Der Film handelt vom Scheitern einer gegenseitigen Annäherung und einem Hoffnungsschimmer, der am Ende eben doch stirbt. Und man kann nur schwer anders, als in der letzten Szene darüber mit Umay alias Kekilli zu weinen.

Wer Sibel Kekilli begegnet, trifft auf eine zurückhaltende, beinahe schüchterne junge Frau, der der ganze Rummel um ihre Person ein wenig unangenehm scheint. Fragen zu ihrem Privatleben oder ihrer Vergangenheit als Pornodarstellerin machen ihr in etwa so viel Spaß wie eine Wurzelbehandlung beim Zahnarzt. In solchen Momenten kann Kekilli sehr frostig werden, die Zimmertemperatur sinkt dann um ein paar Grad. Zutraulich wird sie eigentlich nur, wenn sie über ihren aktuellen Film sprechen darf. Über die Dreharbeiten, nicht die Außenwirkung. Wer hofft, Kekilli in einer halben Stunde Geplauder nahekommen zu können, hat sich getäuscht. Da wird sie einsilbig, macht zu. Soll sich ihr Gegenüber doch aussuchen, ob es sie für etwas einfach gestrickt hält oder für geheimnisvoll. Die meisten haben sich für Letzteres entschieden - womit eine weitere Sache benannt wäre, die eine Schauspielerin, in diesem Fall Sibel Kekilli, so unwiderstehlich macht für das Kino: Sie hat ein Geheimnis.

Die Fremde Film und Gespräch mit der Autorin Hilal Sezgi, die in ihrem Buch "Typisch Türkin?" den Alltag von Türkinnen in Deutschland schildert, heute 19.30, Abaton (Bus 4, 5) Allende-Platz 3, Karten zu 7,-/6,- unter T. 41 32 03 20 und www.abaton.de