Das Museum für Kunst und Gewerbe beteiligt sich mit seiner Fotokunst-Ausstellung “Eine Frage der Zeit“ am Hamburger Festival “Himmel auf Zeit“.

Hamburg. Aufbruch lag in der Luft, die Vergangenheit wurde als Ballast abgeworfen, alles sollte neu werden: Architekten proklamierten das Neue Bauen, Fotografen das Neue Sehen, Ideologen den Neuen Menschen. Die kurze kulturelle Hochzeit der Weimarer Republik steht im Mittelpunkt des interdisziplinären Hamburger Festivals "Himmel auf Zeit", an dem sich das Museum für Kunst und Gewerbe jetzt mit der Fotografie-Ausstellung "Eine Frage der Zeit" beteiligt.

Die von Gabriele Betancourt kuratierte Schau verzichtet darauf, ein umfassendes Bild der Fotografie in der Zeit zwischen Erstem Weltkrieg und Machtergreifung der Nationalsozialisten zu bieten, sondern beschränkt sich stattdessen auf vier Hamburger Fotografinnen und deren Wirken in den 20er-Jahren.

"Nach dem Ersten Weltkrieg veränderte sich die Rolle der Frau erheblich, und damit erhöhten sich auch die Möglichkeiten für Frauen, schöpferisch tätig zu werden. Wenn sie bis dahin meist nur als Gehilfinnen in Erscheinung traten, konnten sie nun selbst Fotografinnen werden", sagt Gabriele Betancourt, die aus dem Bestand des Museums exemplarische Beispiele ausgewählt hat. Gezeigt werden etwa 165 Originalfotografien von vier Hamburger Fotografinnen mit recht unterschiedlichen Voraussetzungen, Arbeitsweisen und Lebenswegen.

Minya Diez-Dührkoop (1873-1929) war die Tochter des Prominenten-Fotografen Rudolf Dührkoop, dessen vornehme, am Jungfernstieg gelegene "Werkstatt für das künstlerische Kamera-Bildnis" sie erfolgreich weiterführte. Diez-Dührkoop war zwar in der klassischen Porträtfotografie geschult, nahm aber expressionistische Tendenzen auf und experimentierte mit starken Schlagschatten und konstruktivistischen Bildelementen. In einer ganzen Serie dokumentierte sie die expressionistischen Tanzmasken des Künstlerpaars Lavinia Schulz und Walter Holdt, die mit ihren spektakulären Performances auch auf den legendären Künstlerfesten im Curio-Haus aufgetreten waren.

Die deutlich jüngere Lotte Genzsch (1907-2003) gehörte dagegen schon zur Generation jener, deren künstlerischer Werdegang durch die Aufbruchstimmung der 20er-Jahre geprägt wurde. Sie absolvierte eine Lehre und arbeitete ab 1929 freischaffend. Während sie einerseits als Porträtfotografin tätig war, schuf sie andererseits atmosphärische Aufnahmen von der Arbeit im Hafen, bei denen sie außergewöhnliche Blickwinkel und besondere Lichtstimmungen wirkungsvoll einzusetzen wusste.

Die Autodidaktin Natascha A. Brunswick (1909-2003) experimentierte mit Licht- und Schattenwirkungen und außergewöhnlichen Bildausschnitten und verlieh ihren alltäglichen Motiven oft geometrische Strukturen, ein Gestaltungsprinzip, das an László Moholy-Nagy, Alexander Rodtschenkow oder andere Bauhaus-Fotografen erinnert. Vom Bauhaus beeinflusst war auch Hildi Schmidt Heins, die in Hamburg Gebrauchgrafik und Fotografie studierte, unter anderem bei dem Bauhaus-Künstler Hugo Meier-Thur, der später von der Gestapo ermordet wurde. Schmidt Heins verlässt das traditionelle Terrain der Fotografie und bemüht sich um eine Einbeziehung der Grafik. "Beide Medien gehen in den 20er-Jahren eine spezifische Verbindung ein. Die Fotografie des neuen Sehens misst der Gestaltung der Bildfläche eine wesentliche Bedeutung zu und emanzipiert sich damit endgültig als Kunst", meint Kuratorin Betancourt.

Aber was verbindet diese vier unterschiedlichen Künstlerinnen? Wohl vor allem eine neue Sicht auf eine radikal veränderte soziale Wirklichkeit, der gestaltende Blick auf alltägliche Situationen und Dinge, deren ästhetische Qualitäten entdeckt werden. Neu war auch die Schnelligkeit, mit der Motive aufgenommen wurden. Die Voraussetzung dafür bot die Leica, die 1925 auf den Markt kam und als erste vollwertige Kleinbildkamera spontane Aufnahmen in hoher Qualität möglich machte.

Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz. Bis 27. Juni, Di-So 11-18, Do bis 21 Uhr geöffnet. Infos zum Festival im Internet: www.Himmelaufzeit.de