Die Programmideen und die Stars kommen von den Privaten. Das Profil der ARD ist zum großen Jubiläum alles andere als unverwechselbar.

Hamburg. An sich macht man so etwas nicht. Einem Jubilar bereits vor dessen Ehrentag zu gratulieren soll ja Unglück bringen. Die ARD schert sich um derlei freilich nicht. Zwar wurde die "Arbeitsgemeinschaft der öffentlich- rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland" erst am 9. Juni 1950 gegründet. Sie feiert aber jetzt schon kräftig ihren 60. Jahrestag - mit einer Dokumentation, einer zweiteiligen Show und vier langen Themennächten. Vermutlich tut sie das, weil ihre Hierarchen fürchten, eine Jubelfeier am tatsächlichen Geburtstag des Senderverbundes würde im Trubel der am 11. Juni beginnenden Fußball-Weltmeisterschaft untergehen.

Der selbstvergessene Umgang mit dem eigenen Jubiläum passt ins Bild. Die ARD zählt zwar zu den größten europäischen Medienkonzernen. Doch wofür steht das Erste eigentlich? Für die "Tagesschau", den "Tatort" und wohl auch die "Lindenstraße". Aber sonst? Kurz vor ihrem 60. Jahrestag steckt die ARD in einer tiefen Identitätskrise.

Wie tief sie ist, zeigte sich bei der Nominierung des deutschen Beitrags für den Eurovision Song Contest, ein Klassiker unter den ARD-Formaten. Präsentiert wurde "Unser Star für Oslo" von Stefan Raab, dem bekanntesten Gesicht von ProSieben. Für die Produktion war Brainpool verantwortlich, eine TV-Schmiede, die sonst fast ausschließlich fürs Privatfernsehen arbeitet. Das einzige Öffentlich-Rechtliche an dem Format waren die Sendeplätze der letzten drei Shows.

Auch sonst lässt sich die ARD gern von den Privaten inspirieren: Die Bundesligaberichte der "Sportschau" atmen immer noch die Ästhetik der Sat.1-Fußballshow "ran", deren einstiger Anchorman Reinhold Beckmann nun praktischerweise das ARD-Format moderiert. Harald Schmidts Late Night Show wurde einst für Sat.1 entwickelt. Das Boulevardmagazin "Brisant" ist dem RTL-Format "Explosiv" nachempfunden. Und "Das Quiz", bisher moderiert von Jörg Pilawa, wäre ohne "Wer wird Millionär?" (ebenfalls RTL) nicht denkbar. Da ist es nur logisch, dass die ARD-Geburtstagsshow RTL-Star Günther Jauch produziert.

Auch die Kindheitserinnerungen von Programmdirektor Volker Herres im Presseheft zum 60. ARD-Jahrestag kommen einem seltsam bekannt vor: "Am frühen Nachmittag ab in die Badewanne, danach im Bademantel beim ,Blauen Bock' auf die ,Sportschau' warten." So ähnlich steht es auch in Florian Illies' Bestseller "Generation Golf", nur dass Klein-Florian im Bademantel "Wetten, dass ..?" verfolgte.

Mit ihrem Fernsehen aus zweiter Hand ist die ARD bisher leidlich erfolgreich. Das liegt zum einen an teuren Sportrechten, die sich das Erste dank nie versiegender Gebührengelder leisten kann. In Jahren wie diesem, in denen sowohl Olympische Winterspiele als auch die Fußball-Weltmeisterschaft stattfinden, ist sie nicht vom Quotenthron zu stoßen. Zudem umschmeichelt sie mit Formaten wie "Feste der Volksmusik" oder den stark süßstoffhaltigen TV-Filmen ihrer Tochter Degeto ("Liebe am Fjord") eine treue Zielgruppe, die noch viel älter ist als sie selbst.

Diese Strategie wird nicht ewig aufgehen. Doch während das ZDF wenigstens in seinem neuen Digitalkanal ZDF neo zeigt, wie modernes öffentlich-rechtliches Fernsehen aussehen kann, scheint das im Ersten niemanden zu interessieren. Dabei hat die ARD mit ihren dritten Programmen Abspielflächen, die sich bestens eignen, um Neues auszuprobieren. Stattdessen variiert etwa der NDR das ewig Gleiche: Den "Landschaften des Nordens" folgen "Die größten Schlager des Nordens" und "Die beliebtesten Trecker Norddeutschlands".

Quo vadis, ARD? Ohne ein eigenes, unverwechselbares Profil wird es dem Ersten schwerfallen, in der neuen digitalen Medienwelt zu bestehen. Auch der Einkauf jüngeren Personals aus der zweiten Reihe der Privatsender wie des einstigen Harald-Schmidt-Sidekicks Oliver Pocher oder des neuen "Verstehen Sie Spaß?"-Moderators Guido Cantz ist keine Lösung. Auf Dauer ist Secondhand-TV zum Scheitern verurteilt. Im Internet sind originelle Seiten anderer Anbieter nur einen Klick entfernt. Streng genommen hat die ARD nicht viel Grund zum Feiern.

"Glückwunsch ARD!", heute 21 Uhr. "Die große Geburtstagsshow 60 Jahre ARD" Teil 1 am 15., Teil 2 am 17. April (jeweils 20.15 Uhr). Die Themennächte "60 Jahre ARD" laufen am 15. ("Information & Kabarett", 23.15 Uhr), 16. ("Film & Serie", 23.30 Uhr), 17. ("Unterhaltung & Talk", 23.30 Uhr ) und 18. April ("Feature und Dokumentation", 23.05 Uhr).