Hamburger alternative Kulturschaffende diskutierten im Westwerk über Freiräume und die zukünftigen Gesetze des Marktes.

Hamburg. Richard Florida ist so etwas wie der Lieblingssoziologe der Subkultur, er hat den Aufstieg der kreativen Klasse beschrieben. Beim Kongress für musikalische Zukunftsfragen im Westwerk war Florida der wenigstens geistig anwesende Gewährsmann für den anvisierten Sprung in die Peripherie-Bezirke. Denn, wie Christoph Twickel, der Moderator der Schlussdiskussion, sagte: "Wenn Orte langweilig werden, gehen auch die Reichen."

Der Appell der Kulturmacher und -vermittler ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Wer immer nur auf die innenstädtischen Szenequartiere schielt, sollte sich irgendwann nicht mehr über Platzmangel und hohe Mieten beschweren. Wer Kulturraum sucht, findet ihn auch in Barmbek und Wilhelmsburg. "Seltsam" war an der Diskussion gar nichts - auch weil alle Debattanten einer Meinung waren -, und so äußerte sich das Motto der Veranstaltung "Keep Hamburg weird" eher in den seminaristischen und praktischen Beiträgen.

Zum Beispiel dem von Felix Kubin: Der Elektro-Anarchist und Sample-Meister ging in seinem Hörspiel auf das (über-)sinnliche und psychische Spiel des Schalls ein. "Paralektronoia" heißt die Arbeit, für die Kubin Interviews mit Klangpionieren und Radiologen führte. Wer der Frage nachspürt, wie "elektrisch" das Hören ist, muss nicht unbedingt paranoid werden; Kubins abschließender Sprechgesang sollte die Haltung formulieren, die einen vor dem Abgleiten in komplizierte Ausweglosigkeiten bewahren sollte: "Zum Glück gibt's immer etwas, das ich nicht verstehe."

Verstehen will Hamburgs Alternativszene dagegen die Gesetze des Markts. Wie kann ich ein Teil der digitalen musikalischen Zukunft bleiben? Wie muss ich einen Weg zum Publikum finden? Für alle Komponisten, Label-Macher und Rampensäue gab es dazu eine Anleitung zu den Gepflogenheiten anno 2010: Wir suchen uns die Fans - nicht die Fans uns. Wobei gesagt werden muss, dass die Erkenntnis, wie im Internet viele Wege zum potenziellen Fan führen, doch recht banal wirkte. Viel interessanter erschien die Frage, was denn das für Rockstarmythos und Geniekult bedeutet. Schlagen der richtige Band-Newsletter und das Zusichern von exklusivem "Content" etwa das Charisma des Frontmanns? Eher langweilig, weil sattsam bekannt war auch der Vortrag des Gema-Mannes Frank Dostal, dessen Einlassungen zu Urheberrecht und YouToube-Kleptomanie ganz entgegen seinen Absichten dazu führte, doch eher die Chancen zu sehen, die das rechtlich in unsicheren Bereichen agierende Internet bietet: ohne die Unterstützung großer Medienunternehmen Aufmerksamkeit zu erlangen.

Letzteres dürfte der Buchmacherin Bettina von Bülow sicher sein. Die ehemalige Lektorin hat den Automatenverlag gegründet. Mit Asphalt-Marketing will von Bülow bald den großen Verlagen und Buchgeschäften Konkurrenz machen und feine Bücher in Schachtelgröße aus dem Zigarettenautomaten unters Volk bringen. Klingt spannend.