Lieber Dieter Bohlen, ich habe Sie neulich belauscht. In einer Damentoilette. Unfreiwillig, das steht fest. Sie erzählten, wie das war mit Ihnen und der Sabrina S. im Hotel Vier Jahreszeiten und all dem Spontangeschmuse vor den flämischen Wandteppichen. Das war für mich vermutlich erschreckender als für Sie, man rechnet ja nicht mit so was, schon gar nicht in einem Café-WC in der HafenCity! Als ich feststellte, dass Ihre Stimme, aber nicht Ihr Leib anwesend war, jovial aufgestützt am Seifenspender, wurde mir klar: Statt Klosett-Musik gab's Ihr Hörbuch auf die Ohren. Ein einmaliges Erlebnis von Literaturvermarktung, das Werk dort vorzutragen, wo jeder mal hinmuss. Ich hoffe, dass es bei der Einmaligkeit bleibt, zumindest mit uns beiden. Wobei: Wäre der "Zauberlehrling" ("Walle walle manche Strecke, dass zum Zwecke Wasser fließe") eine Alternative? Darf Literatur überhaupt so behandelt werden: als Lautmalerei im stillen Örtchen?

Auch wenn traditionelle Geister des Buchbetriebs jetzt aufschreien: ja.

Ja! Holt die Bücher raus aus der Sphäre des Kanon-Elitärismus, zu der nur Erlesene Zutritt haben. Machen wir Lesen cool, ob für Jungs oder Jugendliche, die Bücher latent mit "Arbeit, Spießer, Frau Strenghase aus der 11b" assoziieren und Lesen so uncool finden wie Flöte spielen. Befreien wir Bücher vom Image des Bildungsmedikamentes und lassen sie so selbstverständlich wie Musik werden! Ja, sicher, viel zu lesen fördert Intelligenz, Wissen, Kreativität, mentale Freiheit - aber allein schon der Begriff "fördern" ist so irre unsexy! Das hat schon nicht mit Spinat funktioniert; wieso soll das Argument "Bücher sind gesund" besser zünden? Machen wir gleich auch Schluss mit diesem albernen U- oder E-Getue - denn wer Bücher in Klassen einteilt, tut es auch mit ihren Lesern. Trägt nicht gerade zum Lesewillen bei, dieser Dünkel, und übersieht, dass jemand mit einem Hang zu Schafskrimis sehr wohl auch Siegfried Lenz oder Shakespeare verkraften kann. Also, auf: Gedichte in der Callcenter-Warteschleife! Nobelpreistitel auf Zuckerbriefchen! Hörbücher im Lift (statt Celine Dion, ja bitte!!), Happy Hour in der Bibliothek! Und Lesungen überall - nur vielleicht mit Vorwarnung, wenn mal wieder der Dieter in der Latrine lauert.

12. Vattenfall Lesetage , Do 15.4.-Do. 22.4, 122 Lesungen in fünf Themenreihen, z. B. Sa. 17.4, 19.00: "Die Stunde des Schakals", Namibia-Krimi mit Glauser-Preisträger Bernhard Jaumann, Vattenfall-Center (U Mönckebergstraße), Spitalerstraße 22, Karten zu 5,- unter T. 01801/63 87 67; Infos: www.vattenfall.de/lesetage

Nina George schreibt jede Woche in LIVE und liebt Hamburg.