Malcolm McLaren erdachte einst die legendären Sex Pistols. Ein Nachruf auf den Manager einer nicht ganz ernst gemeinten Revolte.

Für Malcolm McLaren war Kultur der Bauchladen des Zeitgeistes. Kunst, insbesondere die fortschrittlichste, fand nach seiner Meinung nicht im Museum statt, sondern auf den Straßen, in Massenmedien und in den Regalen der Boutiquen. Folgerichtig begann das Werk des am 22. Januar 1946 geborenen Kunststudenten Anfang der 70er-Jahre im Hinterzimmer eines Ladens namens "Paradise Garage" auf der Kings Road in London.

Dort verkaufte er Rock-'n'-Roll-Platten in einem selbst geschneiderten Anzug aus hellblauem Lamé. Der Angestellte McLaren war schnell der Chef, als Botschaft und Variété des Zeitgeistes änderte das kleine Geschäft alle Monate Namen und Programm. Der spätgeborene Situationist McLaren dechiffrierte hastig die Zeichen der Zeit, um sie neu zu deuten und effektintensiv zu inszenieren. Sein Gesamtwerk blieb in jeder Hinsicht heterogen: Vom Plattenverkäufer über den Ladenbesitzer zum Erfinder des Punk reichte das Spektrum seiner Aktivitäten, mit denen er sich nie an den gängigen Vorstellungen des Künstler-Seins orientieren wollte. Lieber benutzte er Künstler wie Modemacher als seine Erfüllungsgehilfen und Marionetten. Wie zynisch McLaren vorging, entlarvte er nicht ohne Pomp in dem halbdokumentarischen Film "The Great Rock 'n' Roll Swindle". Er zeigt, wie sich McLaren die Sex Pistols ausdachte und mit einem barocken Arrangement von Provokationen zuerst zur Nummer 1 der englischen Charts, dann zum weltweiten Pop-Phänomen macht.

Malcolm McLaren wollte nicht die Regeln des Kapitalismus verändern, sondern durch ein Spiel mit ihnen zu den eigenen machen. Rebellion wurde ein Witz, und wer rebellisch war, erschien als Idiot. Die vermeintlich heroischen Punk-Musiker der Sex Pistols wirkten dabei zuweilen, als seien sie nicht viel mehr als Forschungsobjekte. Der Sänger der Pistols, Johnny Lydon, staunte in seinen Memoiren nicht schlecht: "Malcolm und Vivienne Westwood kassierten bei alldem mächtig ab. Es war zum schießen. Die Leute zahlten 40 Pfund für ein T-Shirt mit Karl Marx und einem Hakenkreuz darauf. Und ich dachte: ihr Idioten."

McLaren verscherzte es sich, wo und mit wem immer er konnte. Er maß alle Menschen mit seinem Anspruch an Gegenwartsnähe und Zukunftsverliebtheit und musste feststellen, dass seine Verhöhnung des Künstlerpopanzes in der Bohème ebenso wenig goutiert wurde wie sein aggressiv vorgetragenes Managertum.

Als im New Yorker New Museum 1988 das Werk von McLaren vorgestellt wurde, nannte man ihn einen Impresario, dabei war er stets mehr als das: Er war Schmied und Waffenlieferant des Zeitgeistes, dem er als Instinkthipster aus gutem jüdischem Hause bis in die 90er-Jahre telepathisch verbunden schien. "Keep the dialectic open", hieß es auf einem der T-Shirts, die er 1973 in dem Laden "Too Fast to Live, Too Young to Die" verkaufte, und in diesem Sinne wusste McLaren stets: Welche Subkultur er auch gerade auf die Rampe der Weltöffentlichkeit schickte, sie war jeweils bereits das Altmodische von morgen. McLaren liebte das turbulente Spektakel von Hype und toter Hose. Sein letzter berühmter Laden hieß "Seditionaries", auf löchrigen Wänden hingen Bilder ausgebombter Häuser aus Dresden. Dazwischen verkaufte Vivienne Westwood, seine damalige Ehefrau, ihre in jeder Hinsicht skandalösen Kleidungsstücke. In der Nähe der Kasse war ein Käfig für Ratten installiert. Der Laden war eine Sensation.

Malcolm McLaren starb am Donnerstag in der Schweiz an Krebs. Etwas pathetisch formuliert kann man sagen, dass damit der bis auf Weiteres letzte authentisch moderne Künstler vom Erdboden verschwunden ist. McLaren interessierte sich ausschließlich für das Neue. Nach der Erfindung des Punk war er einer der ersten Weißen, der die kulturelle Dimension des Hip-Hop verstand, wenig später verschaffte er der Housemusik mit einer gewagten Opernmelange ihren Platz in den Hitparaden. Dass ein Nietzsche lesender Brite die Umwertung aller Werte zumindest in der Kultur für zwei Jahrzehnte zu einer ästhetischen Norm erklären konnte, scheint rückblickend eine List der Geschichte. Seine stets blendend gute Laune verdankte er dem Glück ewiger Neugier. Zwischen jungen Menschen, die seine Kinder oder Enkel sein konnten, blieb er Fragender und Gentleman. Wir haben ihm vieles zu verdanken.