Am Pult versteht er sich als Kollege, nicht als Dompteur: Eivind Gullberg Jensen debütiert Sonnabend beim NDR-Sinfonieorchester.

Hamburg. Er sieht aus, als sei Jim Morrison als Wikinger wiederauferstanden. Genug Wildheit im Blick und in der Mähne, dass keiner auf die Idee kommt, er sei ein weltferner Musensohn. Eivind Gullberg Jensen verkörpert das sensible Alphatier. Er ist einer dieser jungen Top-Dirigenten neuen Typs, die sich auch für eine Modestrecke in einer angesagten Zeitschrift nicht zu schade wären. Sie können führen, ohne dabei die Aura des Unnahbaren oder des Patriarchen zu brauchen. Seit 2009 ist Jensen (38) Chefdirigent der NDR Radiophilharmonie in Hannover, an diesem Sonnabend gibt der Mann aus Trondheim sein Debüt beim NDR Sinfonieorchester.

"Nicht kompliziert, also gut geschrieben", sagt er grinsend nach der Probe über Charles Ives' "The Unanswered Question". Die NDR-Streicher spielten die langsam changierenden Akkorde des kleinen, bedeutungsvollen Stücks so leise und perfekt, dass dem Gast am Pult einmal durchspielen genügte. Nur am Flötenquartett, das einem gegenläufigen Metrum folgt, möchte Jensen etwas arbeiten. Unaufgeregt, freundlich, effizient. Mit den Musikern spricht er deutsch, weil er viel in deutschsprachigen Ländern arbeitet. Der Prophet findet nichts dabei, zum Berg zu kommen.

"Ich habe erst mit drei Jahren angefangen zu sprechen", erzählt er. "Aber gesungen habe ich schon als Einjähriger. Es gibt Tonbandaufnahmen davon, die meine Eltern damals gemacht haben. Das klingt echt ganz gut." Als Schüler spielte er Geige, in zwei Jugendorchestern brachte er es zum Konzertmeister. Später leitete er Amateurbläserensembles. Doch Musik als Beruf? Lieber studierte er Mathematik und Physik, Dirigierunterricht nahm er privat. Ab 1996 ließ sich Eivind Gullberg Jensen dann doch zum Dirigenten ausbilden - in Stockholm. "Meisterkurse habe ich noch bis 2005 besucht, obwohl ich zuletzt schon viel Erfahrung als Profi hatte", sagt er.

Neben seinem kollegialen Führungsstil ist es auch die Repertoirebreite, die Jensen in den vergangenen Jahren als Gastdirigent zu vielen wichtigen Orchestern wie dem Orchestre de Paris, dem BBC Symphony Orchestra, den Münchner Philharmonikern oder zum Gewandhausorchester Leipzig geführt hat. Er hat ein ausgeprägtes Faible für russische und slawische Komponisten, er dirigiert die großen Skandinavier, außerdem das deutsch-österreichische Repertoire von Mozart über Beethoven bis zu Wagner, Brahms und Mahler. Und er setzt sich für zeitgenössische Komponisten wie Erki Sven Tüür oder seinen Landsmann Ketil Hvoslef ein, dessen "Traumspiel" Jensen bei seinem Amtsantritt in Hannover im vergangenen September uraufgeführt hat.

Oper kann er auch. Vor zwei Jahren verbrachte Jensen als Assistent von Claudio Abbado einige Monate in Italien, um den "Fidelio" einzustudieren und aufzuführen, ein Werk, das Abbado noch nie dirigiert hatte. "Ich habe ihm sehr viel zugehört, und bei 30 Prozent der Fälle fand ich seine Tempi nicht richtig. Als ich dann selbst eine Aufführung dirigierte, saß er zwei Meter hinter mir. Mir war etwas mulmig, aber ich hab trotzdem meine Tempi dirigiert. Dass er die meisten dann selber übernommen hat, hat mich sehr gefreut. Daran sieht man Abbados Größe: Er ist auch selbst immer noch auf der Suche."

Das Programm in Hamburg - eine Hommage an Stanley Kubricks "2001 Odyssee im Weltraum" - besteht aus lauter Jensen-Premieren. Bei Ligetis "Atmosphères" und Auszügen aus Holsts "Planeten" wird sich seine Handschrift besser studieren lassen als bei Ives. Und "An der schönen blauen Donau" hat der Vater von zwei kleinen Kindern drei Jahre lang gelebt - mal hören, wie viel Wiener Blut durch diesen Wikinger fließt.

Sonnabend, 20 Uhr, Kampnagel, K 6, Karten zu 16,- (erm. 8,-) an der Abendkasse