Hamburg. "Hier hätte ich gern alles sehr kurz und ganz gleichmäßig. Stellen Sie sich vor, es wären Morsesignale!" Die 24-jährige Litauerin Mirga Grabinytë hat eine klare Klangvorstellung - und mit dem plastischen Bild, das sie in den Köpfen hervorruft, erzielt sie die gewünschte Wirkung. Denn die Frauenstimmen des NDR Chores folgen ihrem präzisen Dirigat jetzt minutiös und singen die abgehackten Töne wie Klopfzeichen: "A-ni-ma. Eo-rum."

Auf diese Weise entsteht hier im Studio 11 des NDR am Rothenbaum eine beklemmende Atmosphäre, passend zum Stück "Canticum Calamitatis Maritimae", mit dem der finnische Komponist Jaakko Mäntyjärvi der Opfer des "Estonia"-Schiffsunglücks von 1994 musikalisch gedenkt.

Die junge Chorleiterin wird vom Dirigentenforum des Deutschen Musikrats gefördert - deshalb kann sie, ebenso wie vier weitere ausgewählte Stipendiaten, mit den Profisängern des NDR Chores arbeiten. Sie alle haben pro Tag eine halbe Stunde Zeit, um ihre Vorstellungen zu Mäntyjärvi, Debussy oder Brahms umzusetzen, und werden dabei von dem renommierten schwedischen Dirigenten Stefan Parkman gecoacht.

Parkman hört und sieht sehr genau zu, mischt sich aber nur ganz selten ein, zum Beispiel, als die Sänger bei einer Bach-Motette auch im dritten Anlauf nicht richtig zusammen sind: "Hier solltest du immer die Sechzehntel im Kopf behalten und die anderen Stimmen dazu bringen, mit den Sechzehntelläufen solidarisch zu sein!", rät er der 26-jährigen Russin Marya Benyumova.

Meistens lässt Pädagoge Parkman seine Schützlinge aber erst mal selbstständig arbeiten: "Die Dirigenten sind natürlich nervös, wenn sie vor dem Chor stehen; sie müssen so viel im Kopf haben und auf so viele Dinge reagieren, obwohl nicht viel Zeit ist - da störe ich nur, wenn ich in der Situation auch etwas sage. Ich mache mir Notizen und bespreche das alles dann nach der Probe."

Stefan Parkmans uneitle, konstruktive Kritik und der Umgang mit dem sehr flexibel reagierenden NDR Chor sind für die begabten Nachwuchsdirigenten eine ausgezeichnete Möglichkeit, an den eigenen Stärken und Schwächen zu arbeiten. Davon profitieren die noch ganz jungen Studenten ebenso wie der bereits erfahrene Chorleiter Markus Landerer, der schon seit 2007 als Kapellmeister am Wiener Stephansdom angestellt ist und eine entsprechende Souveränität ausstrahlt.

"Solch ein Coaching hilft einfach enorm weiter, weil es immer wieder neue Möglichkeiten aufzeigt", sagt Landerer. "Als musikalischer Leiter einer Gruppe muss man ja versuchen, in kurzer Zeit auf den Punkt zu kommen. Es geht also darum, ganz ökonomisch und reduziert zu bleiben und nicht zu viel auf einmal zu wollen - diesem Geheimnis sind wir alle auf der Spur."

Eine Philosophie, von der die jungen Dirigenten viel lernen können.

Abschlusskonzert des Dirigentenforums: heute, 20 Uhr, Rolf-Liebermann-Studio