An eine schöne, behütete Kindheit erinnert sich gern, wer sie gehabt hat. An das Toben im Wald oder am Strand, die erste Eins im Rechnen, die Legosteine; an die Familie, an der man hängt und an der man sich reibt. Das können Gefühlsstützen für ein ganzes Leben sein.

Eine vergiftete Kindheit aber, ohne Liebe, voller Gewalt und Ungerechtigkeit, zerstört Vertrauen, das sich fast nie zurückgewinnen lässt.

Gesetze und Konventionen verhindern keine Gewalt an Kindern. Aber sie sind ein Indikator dafür, wie sensibilisiert die Gesellschaft dafür ist. Zwar hat Deutschland 1990 als eine der ersten Nationen die Uno-Kinderrechtskonvention unterzeichnet. Sie spricht jedem Kind das Recht auf eine Staatsangehörigkeit, auf Gesundheit und Bildung, auf den Schutz vor Gewalt, Missbrauch und Ausbeutung zu.

Aber erst vor zehn Jahren rangen sich Deutschland und Österreich zu einem Verbot der Züchtigung von Kindern in Schulen und in der Familie durch - 21 Jahre später als etwa Schweden. Nach der Verschärfung von Paragraf 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuchs haben Kinder ausdrücklich das "Recht auf gewaltfreie Erziehung": "Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig."

Heute wird die Kindheit - jedenfalls in der Theorie - als eine besonders verletzliche und daher besonders schützenswerte Lebensphase anerkannt. Aber in der Geschichte war Kindheit "ein Albtraum, aus dem wir gerade erst erwachen", schrieb der amerikanische Psychologiehistoriker Lloyd de Mause 1974. "Je weiter wir in der Geschichte der Kindheit zurückgehen, desto unzureichender wird die Pflege der Kinder, die Fürsorge für sie, und desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder getötet, ausgesetzt, geschlagen, gequält und sexuell misshandelt wurden."

Die Geringschätzung eines Kinderlebens noch im Mittelalter resultierte vor allem aus der hohen Kindersterblichkeit. "Kindheit" beschränkte sich auf Säuglinge und Kleinkinder, "auf die Periode, in der das kleine Wesen nicht ohne fremde Hilfe auskommen kann", schrieb Philippe Ariès 1975 in seiner "Geschichte der Kindheit". Sobald sich ein Kind allein fortbewegen konnte, wurde es übergangslos zu den Erwachsenen gezählt. Es teilte ihre Arbeit, ihre Spiele, ihre Strafmündigkeit.

Die Geburtswehen einer allgemeingültigen, nicht nur dem Adel vorbehaltenen Erziehungslehre fallen in das 16. Jahrhundert - aber leider auch die Anfänge der "schwarzen" Pädagogik. Reformatorische Schulgründer behandelten ihre Zöglinge ebenso rigoros wie die jesuitischen Schulgründer in der Gegenreformation. Die einen sahen im Kind ein von der Erbsünde belastetes Wesen, das nur durch göttliche Gnade und strenge Erziehung zur Erlösung geführt werden könne. Andere wollten mithilfe von "Zucht" aus dem sündigen ein nützliches, gesittetes Mitglied von Gesellschaft und Gemeinde machen. Noch Martin Luther (1483-1546) empfahl, bei der Kindererziehung "neben den Apfel eine Rute zu legen".

Für den Aufklärer Jean Jacques Rousseau (1712-1778) war das Kind die Ausgangsstufe zur Formung eines vernunftbegabten Menschen. Die Erziehung sollte den Zögling so beeinflussen, dass sein Wille mit dem des Erziehers übereinstimmt. Erst am Ende des Jahrhunderts prägten Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) und sein Schüler Friedrich Fröbel (1782-1852) eine modernere Haltung: Sie sahen im Kind ein kleines Individuum mit eigenen Bedürfnissen und Talenten.

Fröbels erste "Kindergärten" waren 1840 ein revolutionäres Konzept. Hier sollten die Kinder durch Bewegung, Spiele, Sprüche und Lieder möglichst im Freien ihrem Alter entsprechend angeregt und angeleitet werden. Überhaupt erkannte Fröbel, dass das Spielen eine typisch kindliche Form des Lernens und Entdeckens ist.

Aber nur allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, dass der Schutz von Kindern auch gesetzliche Verbote erfordert. In Deutschlands erstem Kinderschutzgesetz von 1903, betreffend die Kinderarbeit in Gewerben und Fabriken, gab es noch keine einheitlichen Altersgrenzen: Ab zwölf Jahren etwa durften Kinder im Handel Lohnarbeit verrichten, in Fuhrbetrieben und Haushalt ab 14 Jahren. Schrittweise wurde der gesetzliche Kinderschutz nach dem Zweiten Weltkrieg immer weiter ausgebaut, in der Gesundheitspflege, der Fürsorge, im Verkehr. Seit 1976 ist das Mindestalter für Kinderarbeit 15 Jahre.

Die Definition von Kindheit hat immer das Menschenbild einer Zeit gespiegelt. Heute gibt es einen breiten Konsens, dass Kinder eine Würde, ein Recht auf Zuwendung und Förderung haben. Die vielen Fälle von Kindesvernachlässigung, -misshandlung, -missbrauch oder von Kinderpornografie aber zeigen die Fallhöhe zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Denn das Kind, schrieb die bekannte Psychologin Alice Miller, hat einen grundsätzlichen Nachteil gegenüber den Ansprüchen, Fehlern und Verführungen der Erwachsenen: Es kann nicht weglaufen. Es muss lieben und aushalten.