Die Absatzkrise auf dem CD-Markt trifft viele Bands. Umsatz machen sie stattdessen mit Live-Mitschnitten, Fanklub-Beiträgen und Wikingerschiffen.

Hamburg. Wenn am Ostersonnabend Tausende Fans aus ganz Norddeutschland zum Rocktower-Festival nach Lübeck reisen, dann ist für die 20 Bands natürlich wichtig, wie ihr Auftritt ankommt. Doch kaum weniger bedeutsam dürfte für Raven, The Devil's Blood oder Powerwolf sein, wie viele Kapuzenpullover, Aufnäher und Schlüsselanhänger mit ihrem Logo sie anschließend am Merchandise-Stand absetzen können. Unvergessen und sehr typisch ist schließlich der fast schon verzweifelte Aufruf von Massacre-Sänger Kam Lee beim Wacken-Open-Air: "Wir haben ganz neue T-Shirts dabei. Bitte kauft die, das ist unsere einzige Chance, etwas zu verdienen." Eine legendäre Band, die beim größten Metal-Festival der Welt spielt, hat so was nötig? Hat sie. Und steht damit nicht allein, denn die anhaltende Absatzkrise auf dem internationalen CD-Markt trifft viele Bands hart.

Wurden 1999 in Deutschland noch knapp 290 Millionen Tonträger verkauft, waren es 2008 nur noch etwa 170 Millionen - ein Absturz um etwa 40 Prozent! Den können auch bezahlte Downloads von Plattformen wie iTunes oder musicload.de nicht annähernd ausgleichen. Noch dramatischer stellt sich die Lage in den USA dar: Innerhalb nur eines Jahres ist der Absatz von Alben (CD und Downloads) um 15 Prozent gefallen, und der Schrumpfungsprozess hält unvermindert an. Da hilft es auch nichts, den Kopf in den Sand zu stecken und - wie in Amerika geschehen - keine offiziellen Absatzzahlen mehr zu veröffentlichen.

Nicht nur Plattenfirmen und Händler leiden unter diesen Einbrüchen, auch die Künstler selbst sind schwer getroffen. Immerhin erhalten sie von jeder verkauften CD nur einen bis zwei Euro. Angenommen eine vierköpfige Band schafft es tatsächlich, von ihrem aktuellen Album 50 000 Exemplare zu verkaufen, dann hat sie damit maximal 100 000 Euro verdient. Die teilen sich allerdings erstens durch vier und müssen zweitens versteuert werden. Bei einem Album pro Jahr lassen sich damit vielleicht die allgemeinen Lebenshaltungskosten bestreiten, mehr aber auch nicht. Und dies ist noch einer der seltenen Fälle, in dem tatsächlich 50 000 Alben abgesetzt werden. Das Gros der Bands bewegt sich natürlich auf weitaus niedrigerem Niveau. Viele Konzerte zu spielen, um die Bandkasse durch Ticketverkäufe zu füllen, ist eine Option, aber es gibt noch zahlreiche andere Ansätze.

Einen recht radikalen Weg ging dabei Radiohead. Die Band stellte ihr Album "In Rainbows" ins Internet und überließ es den Fans selbst, was sie für den Download bezahlen wollten. Das Ergebnis: 38 Prozent der geschätzt eine Million Downloader zahlten durchschnittlich vier Euro, die restlichen 62 Prozent bedienten sich kostenlos. Was nach einer schlechten Quote klingt, war tatsächlich ein großer Erfolg, spielte "In Rainbows" auf diesem Weg doch rund 1,5 Millionen Euro ein. Und Radiohead ging noch einen Schritt weiter. Im Bewusstsein, dass Fans für einen reellen Gegenwert auch reelles Geld auf den Tisch legen, wurde eine luxuriöse Sammleredition des Albums mit CD, Vinylplatten, Begleitbuch etc. veröffentlicht, die sich trotz des stolzen Preises von umgerechnet 60 Euro 100 000-mal verkaufte.

Auch wenn kostenlos ins Netz gestellte Alben bisher die Ausnahme sind, setzen Bands doch immer mehr aufs Internet, um mit der eigenen Musik Geld zu verdienen. Nicht nur Indie-Rocker, die ohnehin Schwierigkeiten haben, einen normalen Plattenvertrag an Land zu ziehen, sondern auch die sogenannten Big Shots. Bestes Beispiel: Metallica. Die amerikanischen Metal-Superstars bieten jedes ihrer zahlreichen Konzerte als Mitschnitt auf der eigens eingerichteten Website livemetallica.com an. Für umgerechnet 7,30 Euro als MP3 oder 9,50 Euro als höherwertige Flac-Datei. Verkaufszahlen werden zwar nicht veröffentlicht, doch bei Millionen Fans weltweit dürfte für Lars Ulrich und Co. ein hübsches Extrasümmchen zusammenkommen.

Einen ähnlichen Weg geht Mando Diao. Nach jedem Konzert kann am Ausgang für 20 Euro ein USB-Stick mit dem gerade erlebten Konzert gekauft werden. Für die Zugaben, die sich aus Zeitgründen noch nicht darauf befinden, gibt es als Bonus einen Downloadcode. Um die Organisation dieses Angebots kümmert sich die deutsche Firma Music Networx, die neben Top-Acts wie den Toten Ho-sen oder Kiss inzwischen auch viele kleiner Bands betreut und ihnen eine "risikofreie, zielgruppenoptimierte Monetarisierung" von Konzertmitschnitten verspricht. 2011 will Music Networx mit seinem Concert-Online-Konzept erstmals schwarze Zahlen schreiben, aber für die beteiligten Bands lohnt sich die Vermarktung ihrer Konzerte natürlich heute schon. "Derzeit sind für uns speziell Konzerte ab 4000 Zuschauer attraktiv", sagt Geschäftsführer Gerrit Schumann. Man arbeite aber bereits an Konzepten, um auch bei kleineren Veranstaltungen Live-Mitschnitte anzubieten. "Das wird das Potenzial im Markt noch mal deutlich steigern."

Ganz in die eigene Tasche wirtschaftet die legendäre Hippietruppe Grateful Dead, die nicht nur ihr riesiges Archiv Stück um Stück als kostenpflichtige Downloads zu Geld macht, sondern auch regelmäßig teure Luxus-CD-Editionen herausbringt, die bei Sammlern heiß begehrt sind.

Überhaupt, die Sammler: Diese Spezies hat mittlerweile zahlreiche Bands im Visier, was gelegentlich seltsame Blüten treibt. So veröffentlichten die deutsch-norwegischen Symphonic-Rocker Leaves' Eyes ihr Album "Njord" in einer Deluxe Edition inklusive Modell eines Wikingerschiffs zum Preis von 60 Euro, und als Beigabe zum aktuellen Fear-Factory-Longplayer "Mechanize" gibt es eine auf 1500 Exemplare limitierte Werkzeugkiste - die ebenfalls mit 60 Euro zu Buche schlägt. "Man muss sich eben immer wieder was einfallen lassen", sagt Jochen Maass, Vice President der deutschen Mailorder-Firma "Nuclear Blast", die viele solcher Sammlerstücke, vor allem für Metal-Fans, im Angebot hat. "Bei uns geht besonders gut, was es nicht an jeder Straßenecke gibt." Das Gros ihrer T-Shirts, weiß Maass, verkaufen Bands allerdings auf Tour. "In der Euphorie nach einem Konzert sitzt bei den Fans das Geld locker." Das ist übrigens nicht nur bei Metal-Konzerten zu beobachten, sondern auch bei den Auftritten der Ärzte, der Toten Hosen oder zuletzt bei Jan Delay in der Color-Line-Arena, als der Merchandise-Stand zeitweise so umlagert war, als würden die schwarzen T-Shirts mit "Disko No. 1 Hamburg"-Aufdruck kostenlos verteilt.

Doch auch wer nicht existenziell durch die im freien Fall befindlichen CD-Verkäufe bedroht ist, macht sich Gedanken über zusätzliche Einnahmequellen. Besonders beliebt: Fanklub-Mitgliedschaften, mit denen beispielsweise Madonna, U2 oder Metallica kräftig absahnen. Dabei geht es weniger um die Jahresbeiträge von durchschnittlich 40 Euro, sondern eher um die Möglichkeit, erklärten Fans gezielt Merchandise-Artikel wie T-Shirts, Badelatschen, Jacken oder Kaffeebecher mit Bandlogo anbieten zu können. Bei den 40 000 Mitgliedern, die beispielsweise Metallicas "MetClub" derzeit hat, kommt schnell ein siebenstelliger Betrag zusammen. Da dauert's nicht mehr lang und CD-Verkäufe werden - jedenfalls finanziell betrachtet - zur Nebensache.

Wie sogar die Musik in diesen Zeiten zur Nebensache werden kann, hat übrigens Beyoncé vorgemacht: Die amerikanische R & B-Queen ließ exklusive Konzertickets verkaufen, die auch zu einem kurzen Meet & Greet hinter der Bühne berechtigten - für umgerechnet 700 Euro pro Stück. Eine Summe, für die Massacre-Sänger Kam Lee fast 35 Fans dazu bringen müsste, nach dem Konzert eines der so flehentlich beworbenen BandT-Shirts zu erstehen.