Hamburg. Ein Festival, das so erregend leise Klänge für seinen Auftakt wählt wie die Hamburger "Ostertöne" am Freitagvormittag in der Laeiszhalle, muss sich seiner Sache schon sehr sicher sein. Nun bietet der Karfreitag für Christen gewiss keinen Grund zum Feiern mit Tschingdarassa; doch derart subtile Ebenen von existenzieller Trauer und Wandlung wie das "Schicksalslied", die Alt-Rhapsodie und das Chorstück "Warum ist uns das Licht gegeben" von Johannes Brahms mit dem spirituellen, elektroakustischen Raumklang-Trip "... das O..." von Mark Andre zusammenzufügen - das zeugt von Fantasie, Feinfühligkeit und Vertrauen auf die Intelligenz des Publikums.

Die "... Luft von anderen Planeten", die die Ostertöne sich für dieses Jahr programmatisch als musikalisches Kurmittel gegen die Gefahr der Wiederholung verordnet haben, wehte gleich in den ersten Takten in den Saal. Anstelle des bislang stets als Ostertöne-Entree aufgeführten "Deutschen Requiems" von Brahms spielten die Philharmoniker unter der Leitung von Simone Young mit dem NDR Chor das "Schicksalslied" auf einen Text von Hölderlin. Darin beneidet der Dichter die Genien, die droben im Licht wandeln, schicksallos und in stiller, ewiger Klarheit, während die leidenden Menschen "jahrlang ins Ungewisse hinabfallen". Entsprechend himmlisch entrückt, wie auf Wolkenmoos schwebend, klangen zu Beginn und am Ende die von Dämpfern gefilterten Kantilenen der Streicher.

Mit bewegender Noblesse sang Waltraud Meier die Alt-Rhapsodie auf Zeilen aus Goethes "Harzreise im Winter", ein Klagelied für den aus der Liebe gestürzten Menschen. Auf diese indirekt religiöse Musik folgte eine aus Worten Hiobs montierte Motette für gemischten Chor a cappella, die mit ihrem eindringlichen, vierfach ansetzenden und jeweils doppelt vorgetragenen "Warum?" die über jeden Karfreitag hinausweisende Grundsatzfrage des Menschen stellt.

Diese Brahms-Trias überwölbte am Ende Mark Andres aus feinsten Geräusch- und Tonfäden gebauter Klangdom für fünf im Saal verteilte Orchestergruppen und Live-Elektronik. Der Arbeit liegen geflüsterte Sequenzen aus der Offenbarung des Johannes zugrunde, auch Impressionen aus Ingmar Bergmans Film "Das siebte Siegel" und die Längenmaße der letzten, entscheidenden Schachpartie zwischen Garri Kasparow und dem Rechner Deep Blue. Auch wenn diese Bezüge beim Hören eher verborgen blieben: Ein metaphysisches, die Ohren weit in den Raum und nach innen öffnendes Klangerlebnis war es allemal.

Das Festival läuft noch bis Ostermontag. Alle Termine im Internet unter www.ostertoene.de