Der neue Roman der amerikanisch-indischen Autorin Jhumpa Lahiri, “Fremde Erde“, erzählt von Geheimnissen und Schuldgefühlen.

Hamburg. Die Postkarte im Hortensienbeet bringt es ans Licht. Akash, drei Jahre alt, hat sie eingepflanzt, als er seinem Großvater beim Gärtnern assistierte. Der hat es nicht bemerkt, aber Akashs Mutter Ruma erkennt die Handschrift. So erfährt sie, dass ihr verwitweter Vater eine Freundin hat - er hatte ihr nichts erzählt.

Das Verheimlichen ist ein zentrales Motiv in den fünf Erzählungen aus dem Band "Fremde Erde" der amerikanisch-indischen Autorin Jhumpa Lahiri. Ihre unspektakulären, dafür umso präziser beobachteten Geschichten ereignen sich in einem Milieu, von dessen Existenz hiesige Leser kaum gewusst haben dürften: Villen mit weitläufigen Gärten sind die Kulisse; die Eltern, Immigranten aus Kalkutta, haben es weit gebracht an der amerikanischen Ostküste. Ihre Kinder studieren selbstverständlich an Eliteuniversitäten wie Columbia oder Princeton - und sollen zugleich die bengalische Sprache und Tradition bewahren und sich an die rigiden Regeln halten. Arrangierte Ehen sind für diese Eltern der Normalfall.

Ohne es zu wollen, zwingen sie ihre Kinder in Geheimnisse und Schuldgefühle. Sudha etwa braucht Monate, bis sie wagt, ihren Eltern ihren englischen Verlobten vorzustellen. Aus Scham verschweigt sie ihrem Mann das Alkoholproblem ihres Bruders und zerstört dadurch sein Vertrauen.

So gleichbleibend sind diese Koordinaten, dass der Leser kaum umhin kann, daraus auf Lahiris eigenen Hintergrund zu schließen. Freimütig berichtet sie, welchen Druck sie als Mädchen empfand, ihrer Herkunft treu zu bleiben und sich zugleich bis zur Selbstverleugnung in ihr Umfeld einzufügen: "Ich fühlte mich weder als Inderin noch als Amerikanerin. Die beiden Welten hatten nichts miteinander zu tun. Keiner von beiden schien ich zu genügen."

Es spricht für Lahiris Erzählkunst, dass ihre Geschichten trotz gleichen Hintergrunds und ähnlicher Grundkonflikte nie langweilig werden. Bei ihr erinnert nichts an die süßlichen Dramen der Bollywood-Filme, am allerwenigsten die schlackenfreie Sprache, die Gertraude Krueger kongenial ins Deutsche übertragen hat.

Lahiris Themen sind universell. Lakonisch und diskret protokolliert sie die Traurigkeiten, die sich aus der Unzulänglichkeit des Menschen ergeben. Dass Ruma, wiewohl sie ihren kleinen Sohn liebt, nur wenig auf ihn eingeht, zeigt Lahiri, indem sie alle paar Meter einen Satz von ihm einstreut. Jedes Mal bleibt er unbeantwortet. Megan und Amit sind glücklich verheiratet, aber eine Verkettung harmloser Ungeschicklichkeiten bringt alte Minderwertigkeitsgefühle zum Vorschein - sie fühlt sich intellektuell unterlegen, er ist eben Inder. Selbst als sie, höchst erregend, an verbotenem Ort miteinander schlafen, bleibt die Kluft bestehen.

Heute, sagt Lahiri, verheiratet und Mutter zweier Kinder, sieht sie den Reichtum ihrer Biografie: "Beide Kulturen wohnen wie Geschwister in mir: Mal dominiert die eine, mal die andere, aber sie sind einander vertraut."

Ähnlich versöhnt ist Ruma, nachdem sie sich von ihrer Entdeckung erholt hat. Statt die Postkarte zu zerreißen, streicht sie sie glatt und klebt eine Briefmarke darauf, um sie dem Briefträger mitzugeben.

Jhumpa Lahiri: Fremde Erde rororo, 303 S., 12 Euro