“Himmel auf Zeit“ erinnert an die Hamburger Kultur in den 20er-Jahren. Eröffnet wird es am Montag im St.-Pauli-Theater

Hamburg. Waren die 20er-Jahre golden? Für die meisten Hamburger ist es in Wahrheit eine Zeit der Entbehrungen gewesen. Kaum war der Krieg vorüber, erschütterten innenpolitische Krisen die Stadt, in der viele Menschen nicht wussten, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten sollten. Die Inflation vernichtete Vermögen und stürzte viele Menschen in bittere Armut. Ein Frühstücksei konnte an einem Tag 90, am nächsten 120 und am übernächsten 500 Mark kosten.

Doch obwohl viele Menschen von Armut bedroht waren, erlebten sie vor allem zwischen dem Ende der Hyperinflation im November 1923 und der Weltwirtschaftskrise von 1929 eine spannende Zeit des Aufbruchs. Man besuchte Bars und Tanzlokale, erlebte Theaterexperimente an Erich Ziegels Kammerspielen, schaute fasziniert den geheimnisvollen Maskentänzen des Paares Lavinia Schulz und Walter Holdt zu. Kunstinteressierte diskutierten über die Werke, die sie auf Ausstellungen der Mitglieder der Hamburger Sezessionen sahen, während in den Cafés nicht nur neue Theaterstücke, Bücher und Filme für Gesprächsstoff sorgten, sondern auch neuartige Bauten, wie etwa Fritz Högers Chilehaus, das sich von 1922 an wie ein riesiges Schiff über das Kontorhausviertel zu erheben begann.

Doch einmal im Jahr hielten die Hamburger den Atem an, denn immer zur Faschingszeit verblüfften die Kreativen den Rest der Stadt mit ihren Künstlerfesten im Curiohaus,. Je nach Standpunkt fand man sie entweder gewagt oder frivol, avantgardistisch oder ganz und gar verdorben ... Die Hamburger Künstlerfeste waren das Aufregendste, was Hamburgs kulturelle Szenen in den 20ern zu bieten hatte, enorm aufwendige Events, an denen Maler, Bildhauer, Architekten, Literaten, Schauspieler, Sänger, Tänzer und Lebenskünstler zusammenwirkten und - jeweils unter einem bestimmten Motto - ein Gesamtkunstwerk kreierten, das mehrere Nächte lang gefeiert wurde. Tagsüber durften die braven Bürger gegen Eintrittsgeld die Dekorationen im Curiohaus bewundern, staunen und sich in ihrer Fantasie die enormen Ausschweifungen ausmalen, die sich nächtens hier ereignen würden.

Die Atmosphäre dieser sagenhaften Künstlerfeste wird am 29. März im St.-Pauli-Theater mit der musikalisch-literarischen Revue "Der himmlische Kreisel" wieder lebendig. Mit Texten und Liedern von Hans Leip, Hans Henny Jahnn, Gustaf Gründgens, Erika und Klaus Mann, dem kommunistischen Literaten Willi Bredel, dem sächsischen Seemann Joachim Ringelnatz und den jüdischen Komikern und Volkssängern Gebrüder Wolf wird ein Panorama des künstlerischen Reichtums dieser Zeit vorgeführt. Es ist zugleich der Eröffnungsabend des interdisziplinären 20er-Jahre-Festivals "Himmel auf Zeit", an dem sich zahlreiche Kulturinstitutionen beteiligen - vom Schauspielhaus bis zur Kunsthalle, von der Freien Akademie der Künste bis zur Staatsbibliothek, vom Literaturhaus bis zur Swingwerkstatt Hamburg. Bis zum Juli gibt es Veranstaltungen, Konzerte und Ausstellungen.

Der himmlische Kreisel Mo 29.3. 20.00, St.-Pauli-Theater, Eröffnungsabend des Festivals "Himmel auf Zeit". Infos zum Programm im Internet unter www.himmelaufzeit.de