Ich finde an jedem Tag einen Hamburger, der die Welt rettet. Da, der Rentner bei Budni: Er steht in der Kassenschlange, den Wagen hochvoll mit Fußbalsam und Schogetten - er guckt nach hinten, brummelt "Geh man vor, Deern, bei mir dürt dat!", und winkt die junge Frau mit ihrem Kajalstiftchen vor sich in die Reihe. Oder dort: der Fahrer des Nachtbusses. Er hält, obgleich die Haltestelle fünfhundert Meter weiter ist. Weil er die nicht mehr ganz junge Dame lieber vor ihrer Haustür absetzt und wartet, bis ihr Treppenhauslicht angeht. Oder hier, die Taxifahrerin. Je schneller sie ans Ziel kommt, desto schneller hat sie wieder eine Tour. Sie lässt dennoch den von Hamburgs Straßen schwer verwirrten Fahrer aus SHG einfädeln, anstatt verbissen um jeden Zentimeter Vorsprung zu kämpfen.

Diese Weltretter haben sich weder an ein Bahngleis gekettet noch eine Reklamelügen-Widerstandsfront gegründet oder minderjährige Näher aus T-Shirtfabriken befreit. Und doch sorgen sie dafür, dass andere genau das tun werden.

Ich habe eine Theorie, die ich in Ermangelung von Fachtermini den Tümpel-Wurf nenne. Wer einen Kiesel in einen Teich wirft, sieht Wellenkreise, die sich um die Einwurfstelle bilden, obgleich der Stein längst versunken ist. Das Kieselchen steht für eine unbezahlte Nettigkeit, ein Lächeln ohne Anlass. Es geht unter im großen Fluss der Weltereignisse, aber das Echo - die Wellen - setzen sich fort: Die mit Liebenswürdigkeit bedachte Seele wird ihrerseits, mit leiser Hoffnung, dass die Menschheit nicht nur ein Haufen achtloser Ich-Wichte ist, eine Kleinigkeit tun. Ein Lächeln für den nächsten Busfahrer, ein sanfterer Gasfuß, den eigenen Regenschirm mit einem Fremden teilen. Die Wärme der ersten Geste vervielfältigt sich wie ein ansteckendes Lachen. Und die Summe aller Kleinigkeiten? Sie erhalten die Menschenliebe, und den Willen, die Gegenwart gegen menschliche Parasiten zu verteidigen. Ob sich mit Schlauchbooten vor Walfänger zu werfen oder eine Nachbarschaftshilfe zu gründen.

Und so kann das in den Strom der Zeit geworfene Lächeln eines Einzigen die ganze Welt der anderen retten.

"Zukunft geben. 23 Skizzen zum Stiften" Wie erhalten Nena, Maritta Stille (Aktion Kulturland) oder Dr. Klaus Rollin (Gründer Hamburger Bürgerstiftung) die Menschenliebe? Buchpremiere, Vortrag (u. a. Dr. Michael Göring, Zeit-Stiftung), Lesung, Podium & Get-together mit Büfett, Do 25.3., 18.00 Empfang, 19.00 Beginn, Mittelweg 11-12 (Bus 109, Fontenay), Eintritt frei; www.zukunft-geben.de

Nina George schreibt jede Woche in LIVE und liebt Hamburg.