Pop-Ikone Patt Smith: Wie eine unscheinbare New Yorker Buchverkäuferin zur androgynen Leitfigur eines ganzen Jahrzehnts wurde.

Köln. Das Lesebändchen ist überhaupt das Größte. Patti Smith sitzt im Raum "Präsident 2" des Hotels im Wasserturm in Köln auf einer kleinen Bühne und preist den ortsansässigen Verlag, der als erster fremdsprachiger mit der Übersetzung ihres Buchs "Just Kids" auf den Markt gekommen ist. "Wenn Sie was von Büchern verstehen", sagt Frau Smith den Journalisten, "dann wird Ihnen die buchbinderische Qualität auffallen. Auch den Umschlag mag ich sehr." Dann fingert sie wieder verliebt und selbstironisch am gelben Lesebändchen.

Sowas hatte sie noch nie. Es ist wie der Ritterschlag für die bibliophile Punk-Prophetin, die einst in New Yorks schönstem Buchladen Scribner auf der 5th Avenue als Verkäuferin arbeitete. Und das Indiz dafür, dass sie jetzt, mit ihrem Erinnerungsbuch an die gemeinsamen Jahre mit Robert Mapplethorpe, wohl wirklich Schriftstellerin geworden ist, aufgenommen in den Adelsstand all derer, die sie so liebt - Rimbaud, Burroughs, Ginsberg, William Blake, Hermann Hesse.

Ihr manchmal etwas eckig übersetztes Buch erzählt von der schwierigen, wunderschönen Künstlerliebe zwischen dem freigeistig, aber ziemlich mittellos aufgewachsenen knochigen Mädchen Patti aus New Jersey Süd und dem aus stockkatholischen Verhältnissen stammenden, verträumten und schüchternen New Yorker Robert. Er ist der Begnadete, sie allenfalls begabt; er der originäre Schöpfer, sie kaum mehr als eine Nachahmerin. "Während ich Genet las, war er dabei, Genet zu werden", schreibt Smith über ihre Freundschaft, die wohl frei war von Rivalität und auch Mapplethorpes spät eingestandene Homosexualität überstand. Sie ging Geld verdienen, er steuerte ein paar Dollar bei. Erfolglos sind sie beide, die 1967 in New York zueinander finden, verlorene Seelen unter einem kleinen blauen Stern - späteres Symbol ihrer Liebe.

Zur Pressepräsentation in Köln hat Patti Smith ein T-Shirt mit der Abbildung des Buchumschlags der amerikanischen Erstausgabe von Hesses "Glasperlenspiel" angezogen. Darüber schwarze Edellandstreicherklamotten der belgischen Designerin Ann Demeulemeester, an den Füßen braune italienische Cowboy-Boots. Sie zählt das alles selbst auf. Kleidung war immer wichtig, auch wenn Patti Smith in den prägenden Jahren ihrer Künstlerexistenz oft kein Geld für Grundnahrungsmittel hatte. "Just Kids" enthält genaue Beschreibungen der paar Outfits, in denen sie an der Seite Mapplethorpes in den späten 60er-Jahren durch ein New York streunte, das heute so weit in die Vergangenheit entrückt scheint wie die blassen Fotos in ihrem Buch.

Patti Smiths nachlässig gefärbtes Haar sieht aus, als hätte es schwere Bürstenallergie. Auch das gehört zum Stil. Als sie sich auf eine blöde Bemerkung hin eines Februarabends im Jahr 1970 das Haar so schnitt wie Keith Richards es trug, vollzog sie unbewusst die Verwandlung vom Niemand zur androgynen Leitfigur eines Jahrzehnts. Das ist längst vorbei, sie muss nichts mehr beweisen und lässt ihr Haar herunterhängen, wie es will.

Das Hotel im Wasserturm liegt in einer kleinen Nebenstraße abseits der Kölner Innenstadt und gehört zu einer Anzahl handverlesener Luxushotels. Unverputzte Backsteinmauern, die Einrichtung ist designermäßig braun und trüb beleuchtet, gediegene Moderne. Gerahmte Blütenkelchfotos von Robert Mapplethorpe würden gut hierherpassen. Stattdessen hängen Reproduktionen von Beethoven-Bildern à la Warhol an den Wänden. Das Haus kontrastiert hübsch mit dem unbeschreiblich versifften Hotel Allerton, in dem Smith und Mapplethorpe einige Zeit im Sommer 1969 überstanden, ehe im winzigsten Zimmer des Chelsea Hotels so langsam aber sicher die Sonne einer besseren Zukunft für sie aufging.

Patti Smith liest die paar Absätze über die Fotosession für das Cover von "Horses", ihr erstes Album, das die Geschichte der populären Musik in ein Davor und Danach einteilt wie nur wenige Platten sonst. "Als es noch LPs gab, waren Cover so wichtig wie die Musik", erklärt Granny Smith den Journalisten. Mapplethorpe machte damals, im Herbst 1975, zwölf Schwarzweiß-Aufnahmen, ohne Assistenten. Fertig war eine Ikone der damaligen Moderne: "Vielleicht eine kleine Lehre für die anwesenden Fotografen", scherzt die Sängerin. Mapplethorpe starb 1989 an Aids. "Noch heute vergeht kein Tag, an dem ich nicht an ihn denke" sagt Smith.

Zum Abschied nimmt Patti Smith die Westerngitarre, klampft die immergleichen Akkorde und füllt beim zweiten Lied den Raum ganz ohne Mikrofon mit ihrer rauen, weinerlichen, starken Stimme. Singend geht sie auf BAP-Sänger Wolfgang Niedecken zu, der von der letzten Reihe aus zugehört hat. Mit jeder Zeile, die sie singt, werden ihre Gesichtszüge weicher. Könnten wir sie jetzt in Schwarzweiß sehen, wäre sie ihren Fotos aus den frühen Jahren wieder sehr nah.

Patti Smith: "Just Kids" , KiWi, 322 S., 19,90 Euro