Die Comic-Band, hinter der sich unter anderem Blur-Frontmann Damon Albarn verbirgt, legt mit “Plastic Planet“ eine polyglotte Pop-Platte vor.

Hamburg. Die Idee, inkognito Musik zu machen, klingt für einen medienscheuen Künstler überaus verlockend - die Stimme hat ihn allerdings längst überführt. Als Damon Albarn, bekannt als Vordenker der erfolgreichen Britpopper Blur, 1998 mit dem Comic-Zeichner Jamie Hewlett die Phantomband Gorillaz aus der Taufe hob, glaubte man erst an einen Scherz.

Denn die Geschichte beginnt mit einem tollen Märchen. Es handelt von Sänger 2D, Bassist Murdoc Niccals, Gitarristin Noodle und Drummer Russel Hobbs, nach japanischer Manga-Art gezeichneten Witzfiguren, die gemeinsam ein tolles Hybrid aus eingängigen Rockmelodien, poppiger Elektronik und Hip-Hop-Gesängen produzierten.

Von ihrem "Gorillaz" betitelten Debüt setzte die Comic-Combo sechs Millionen Tonträger ab. Der von Danger Mouse produzierte Nachfolger "Demon Days" 2005 war sogar noch erfolgreicher. Gelegentlich gab die Band ein paar Liveauftritte, bei denen die echten Musiker sich hinter einem Vorhang mit Projektionen der Comic-Figuren verbargen.

Der Versuch, das Künstliche so real wie möglich erscheinen zu lassen, glich einem Spiel, das allen Beteiligten diebische Freude bereitete.

Mit dem dritten und letzten Album ist die Band nun am "Plastic Beach" gelandet und treibt ihr Konzept auf die Spitze. Die Mär besagt, dass die Truppe vor einem Tonstudiobrand und gebeutelt von den Folgen der Finanzkrise auf eine Art Müll-Atoll am Point Nemo im Südpazifik flieht.

Auf ihrer Website füttert die Band die Story mit allerlei Nachrichten und Sounds aus ihrem Piratensender an. Drummer Hobbs gilt als verschollen. Murdoc soll dort 2D gefangen halten und wird angeblich von einer Art Klon der Gitarristin Noodle beschützt.

Um diese irre Geschichte klanglich zu illustrieren haben Albarn und seine Mitstreiter mal wieder den Weltempfänger aufgestellt, klauben Melodien und Rhythmen von Klassik bis Rap auf und überhöhen sie mit 2D's heiserem Gesang. Heraus kommt echter Sound für Kosmopoliten. In bewährter Manier werden die Songs durch den Durchlauferhitzer prominenter Gastsänger gejagt, bevorzugt vergessener Soul- und Hip-Hop-Heroen. Mos Def und BobbyWomack wetteifern in der grandiosen Single "Stylo". Und sogar der unbequeme Lou Reed nutzt die Gelegenheit, sich mit dem Vehikel des massentauglichen Gorillaz-Sounds in "Some Kind Of Nature" in Erinnerung zu bringen. Mick Jones und Paul Simonon zeigen sich erstmals seit The-Clash-Zeiten wieder vereint. Dazu gibt es jede Menge zum Dauerwippen verführende Hooks, einfallsreich gespickt mit Klängen des National Orchestra For Arabic Music.

Die Gorillaz mögen auf ihrer Müllinsel mit Glanz und Gloria untergehen. Gorillaz-Kopf Damon Albarn dürfte bald eine neue Überlebensstrategie einfallen. Als sich abzeichnete dass die endlosen Beatles-Variationen mit Blur ausgewalzt waren, trat Albarn vor der drohenden Bedeutungslosigkeit die Flucht nach vorne an. Reüssierte mit der Allstar-Band The Good, The Bad & The Queen, komponierte eine chinesische Oper, suchte in entlegenen Winkeln der Welt nach einer neuen Popsprache. Die Gorillaz dürften mit diesem Album als die erste Band des 21. Jahrhunderts in Erinnerung bleiben.

Gorillaz: Plastic Beach EMI