Die Kunstkritikerin hat jetzt ein Buch über die Folgen ihrer sexuellen Affären publiziert. Heute Abend liest sie um 20 Uhr im Literaturhaus.

Hamburg. Der Mann, dessen Name zum Sinnbild des unersättlichen Verführers wurde, Casanova, soll 123 Frauen vernascht haben. Geradezu mickrig gegenüber der Zahl von 5000 Männern, mit denen es die französische Autorin und renommierte Kunstkritikerin Catherine Millet getrieben haben will. Mit fast klinischer Präzision hatte Millet in ihrem 2001 veröffentlichten Roman "Das sexuelle Leben der Catherine M." ihre zahllosen Männer-Begegnungen wie fleischliche Turnübungen geschildert. Und dabei ihren Ehemann, den Schriftsteller Jacques Henric, und ihr großbürgerliches Leben, für das sie neben dem vielen Sex kaum noch Zeit hatte, fast vergessen. Weltweit diskutierte man über - und das ist eigentlich ein Klischee - die sexuelle Freizügigkeit der Französinnen. Das Buch wurde in 45 Sprachen übersetzt und zwei Millionen Mal verkauft.

Nun hat Catherine Millet erneut ein Buch geschrieben. Eines, das zu der propagierten sexuellen Libertinage des emanzipierten französischen Bürgertums wenig passt, denn es erzählt von Eifersucht, Besitzansprüchen und Kontrollverlust. Es handelt vom Leid, das eine Affäre auslöst, vom Liebesleid. Wer hätte das gedacht! Ausgerechnet bei Catherine Millet, die sich selbst alle Freiheiten zugestanden hat, die aber, als sie auf dem Schreibtisch ihres Mannes zufällig das Foto einer nackten, schwangeren Frau sieht, die Eifersucht entdeckt, die sie fast auffrisst.

"Die Heftigkeit des Schmerzes", so schreibt Millet, die heute aus ihrem Buch in Hamburg liest, "steht im Verhältnis zur Dauer der Blindheit." Sie beginnt systematisch, ihrem Mann hinterherzuschnüffeln, stellt ihn zur Rede und entdeckt, dass er mit weiteren Frauen Verhältnisse hat. "Ich machte nun die Erfahrung, wie man leidet, wenn man an der Person zweifelt, die im Mittelpunkt der eigenen Gedanken steht." Fortan ist sie Tag und Nacht von sexuellen Fantasien verfolgt, die ihr ihren Mann mit anderen Frauen zeigen. "Kann es für den Menschen überhaupt Lust geben außerhalb der Obszönität?", fragt sie. Und beginnt während der Ehekrise mit dem Buch "Das sexuelle Leben der Catherine M.". Nicht aus Rache oder Aufrechnerei. Vielleicht, um Abstand zu bekommen.

"Voyeurismus und Eifersucht hängen sehr eng zusammen", hat Millet in einem Interview gesagt. Und sie erkennt, dass sie Angst hat vor der Einsamkeit, der Leere, vor Verlust und Tod. Mehr als über die Entdeckung, dass ihr Mann fremdgeht, ist Millet über sich selbst schockiert. Darüber, dass ihr das Leiden Genuss verschafft. "Man geht immer wieder dort hin, wo es wehtut, sucht nach Briefen, checkt das Handy." Sie ist schockiert auch darüber, wie sehr die Affären sie treffen. Schließlich ist sie lange genug dafür eingetreten, dass jeder seine amourösen Bedürfnisse ausleben darf.

Millets Eifersucht wird zum Wahn, zum Albtraum, erobert ihr Leben. "Ich hatte immer mit der Vorstellung gelebt, die Sexualität sei das Gebiet, auf dem ich glänzen konnte", schreibt sie. Nur um zu erkennen, dass sie auch dort besiegbar ist. Am Ende, nach Jahren, ist die Beziehung zwischen Millet und ihrem Mann eher noch gewachsen. "Es brauchte viele Jahre, Hunderttausende von Zärtlichkeiten, Tausende von Gesprächen und eine kleine Anzahl von gemeinsam durchgestandenen Prüfungen, bis ich mein Gefühl für Jacques als Liebe erkannte", schreibt sie am Ende.

"Eifersucht" ist keine Liebesgeschichte. Millet beschreibt kühl, sachlich und klar Zustände und Gefühlsverwirrungen. So, wie sie es gewöhnlich als Kunstkritikerin tut. Feminismus, Libertinage, Freizügigkeit - all das gerät aus dem Fokus, wenn es um die Paarbeziehung geht. Irritiert uns diese Erkenntnis?

Catherine Millet: "Eifersucht", Carl Hanser Verlag, 220 S., 21,50 Euro. Millet liest heute, 20 Uhr, im Literaturhaus, Schwanenwik 38. Der Eintritt kostet 6, 8 oder 10 Euro.