Die Diskussion über die Zukunft der Printmedien wird einseitig ökonomisch geführt - dabei geht es um sehr viel mehr: Qualitätsjournalismus ist der Lebensnerv einer funktionierenden Demokratie.

Ein Extrembeispiel - die Geschichte ist nicht typisch, aber doch ein Symptom, das eine zunehmend prekäre Normalität offenbart. Es geht um James Macpherson aus Pasadena, einem kleinen kalifornischen Städtchen. Macpherson betreibt die Online-Site "Pasadena Now", und er wurde bekannt, weil er meinte, den "Prototyp des künftigen Journalismus" entdeckt zu haben. Irgendwann im Jahre 2007 feuerte der Medienunternehmer seine fünf Reporter und beschloss, sie durch indische Lohnschreiber zu ersetzen.

Fünf Inder, die - nach allem, was man weiß - nie in Pasadena waren, berichteten fortan über das Lokale, lieferten Rezensionen der neuesten Konzerte, schrieben Meldungen über die Wetterlage, Berichte über die Sitzungen des Rathauses, die sie über Video verfolgten. Leider verpasste einer der fernen Korrespondenten mitunter, dass einzelne Lokalpolitiker die Sitzung aufgebracht verließen, weil dies für ihn nicht zu sehen war. Ein andermal assoziierte ein Redaktionsmitglied "Rose Bowl" - ein Sportstadion in Pasadena - mit Essbarem, aber immerhin: Billig war er, der zukünftige Journalismus, das schon. 7,50 Dollar erhielten die indischen Schreiber für Beiträge, die dem Volumen einer Zeitungsseite entsprachen.

Bei aller Absurdität zeigt die Sparpolitik des James Macpherson immerhin eines: Guter Journalismus, jenes charakteristische Wechselspiel aus Nähe und Distanz, dem schnellen und dem genauen Blick, lässt sich nicht unbegrenzt rationalisieren. Es sei denn um den Preis eines massiven Qualitätseinbruchs.

Und doch wird in den USA und auch hierzulande - ausgelöst durch eine längst dramatische Konjunktur- und Strukturkrise - genau dies versucht. Auch in deutschen Redaktionen wird nach Kräften gespart, werden lokale Redaktionsbüros geschlossen oder ausgelagert, kommt es zu Entlassungen, zentralisiert man die Berichterstattung, legt ganze Redaktionen zusammen.

Deutsche Tageszeitungen haben in den letzten zehn Jahren etwa fünf Millionen Käufer verloren, zahlreiche Magazine sind vom Markt verschwunden oder ächzen unter der Anzeigenflaute. Sie müssen die Preise erhöhen, aufwendige Recherchen zurückfahren. Sie sind häufiger geneigt, PR-Beiträge zu übernehmen oder den Leser im Gewand journalistischer Berichterstattung Reisen oder Bücher des eigenen Unternehmens anzudienen - mit allen Folgen für die Glaubwürdigkeit des Journalismus und den Seriositätsappeal des Gewerbes insgesamt.

Die schlechte wirtschaftliche Lage minimiert das Anzeigenaufkommen und ruiniert eine wesentliche Erlösquelle der gesamten Branche (Zeitungen finanzieren sich bis zu zwei Dritteln über Anzeigen). Das Internet sorgt überdies dafür, dass existenziell wichtige Einnahmen wegbrechen, Anzeigen abwandern, die nicht mehr zurückgewonnen werden können. Und die User sind - dies erweist sich als nicht mehr korrigierbarer Fehler - längst an die Gratiskultur gewöhnt und wollen für hochwertige publizistische Angebote und Nachrichten nicht bezahlen.

Die Folge: Der Qualitätsjournalismus droht seine tradierte ökonomische Basis zu verlieren - ohne dass Alternativen in Sicht wären und sich das Trägermedium einfach austauschen ließe.

In dieser Situation fehlt eine gesellschaftliche Debatte über das Wesen und den Wert des Gedruckten existenziell. Ein wacher, ein komplex produzierter, aufwendig recherchierter Journalismus, der kritisiert und kontrolliert, der orientiert und inspiriert, muss längst gesellschaftlich verteidigt werden. Natürlich gibt es gewichtige Debattenbeiträge, die genau dies tun, aber es fehlt doch eine sich lautstark und wirksam artikulierende Lobby, es fehlt die massive Intervention der kulturellen Intelligenz. Gewiss, der Publizist Eric Alterman ("The New Yorker") hat den Zeitungsjournalismus fulminant als Basis des informierten Urteils in demokratischen Gesellschaften präsentiert. Die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel ("Frankfurter Allgemeine Zeitung") war es, die Printmedien als Instrumente des vielschichtigen Diskurses über Fragen von öffentlicher Relevanz beschrieben hat. Der Philosoph Jürgen Habermas stellte in der "Süddeutschen Zeitung" die Frage, ob nicht im Angesicht der Krise über politikferne Stiftungen und eine (direktere) öffentliche Alimentierung von Qualitätsblättern nachzudenken sei.

Und doch regiert - sieht man von vereinzelten Stellungnahmen und lobenswerten Initiativen der Branche (Kongressen, Qualitätsnetzwerken) einmal ab - eine unübersehbare Lust an der Apokalypse und ein modernisierungshungriger Opportunismus, der das Medium des Gedruckten und die mit ihm eng verbundene Kultur der allmählichen, der notwendig verzögerten Produktion und Reflexion vorschnell verloren gibt. Der Printmarkt wird längst als"dead tree industry" verspottet. Der Medieninvestor David Montgomery (ehemals "Berliner Zeitung" u. a.) hält - ein Beispiel für eine allein profitfixierte Arroganz - das gesamte Business inzwischen für eine "sinnlose, egoistische Obsession mit toten Bäumen". Blogger und Medienjournalisten und auch Medienwissenschaftler überbieten sich mit ihren oft euphorisch-brüllenden Prognosen, wann die letzte Zeitung gedruckt wird - und sie übersehen dabei: Noch gibt es kein publizistisches Forum, das in ähnlicher Weise Themen von allgemeiner Relevanz auf die Agenda zu setzen vermag, sie überhaupt professionell auszuwählen und publikumsgerecht zu arrangieren verstünde.

Zeitungen und Zeitschriften sind - gewiss nicht immer, aber doch idealerweise - Medien des zweiten Gedankens, die eine Aktualität hinter der Aktualität sichtbar werden lassen. Sie versorgen, wenn es gut läuft, diese Gesellschaft Tag für Tag und Woche für Woche mit neuen Deutungsvorschlägen und Wahrnehmungen. Sie verwandeln Ahnungen in Behauptungen und individuelle Befindlichkeiten in Begriffe und kollektive Bilder, sie verknüpfen Besonderes und Allgemeines, Konkretes und Abstraktes.

Kurzum: Sie machen diese Gesellschaft klüger. Es wäre ein Zeichen nervöser Ignoranz, die Möglichkeiten des Mediums leichtfertig zu verspielen.