Hamburg. Es ist ein Dilemma. Wie soll man Johann Sebastian Bachs Zyklus von sechs Werken für Violine solo aufführen? Zusammengenommen übersteigt die Spieldauer der drei Sonaten und drei Partiten BWV 1001 bis 1006, entstanden in Bachs Köthener Zeit um 1720, weit die Kondition des normalen Konzertbesuchers und womöglich auch die des Interpreten.

Konditionsschwierigkeiten können für die Geigerin Julia Fischer bei dieser Frage allerdings keine Rolle gespielt haben. Bei ihrem Gastspiel in St. Katharinen hatte man den Eindruck, sie hätte mit derselben Perfektion und Mühelosigkeit nicht nur die drei Sonaten spielen können, sondern die drei Partiten noch dazu. Fischer hatte die Werke nach Gattungen getrennt auf zwei Abende verteilt - eine zeitlich ausgewogene Lösung, die allerdings außer Acht ließ, dass die sich abwechselnden Sonaten und Partiten gewissermaßen Pärchen bilden. Kompromisse sind hier eben unausweichlich.

Gänzlich kompromisslos hingegen war Julia Fischers Darbietung. Sie führte ihr Publikum durch die komplexen Werke, als wären sie eine Kathedrale. Das einleitende Adagio der g-Moll-Sonate machte sie gleichsam zur Ouvertüre des ganzen Konzertabends; in größter Ruhe und Tonschönheit folgte sie den musikalischen Gedanken und spielte die Girlanden aus. Selbst in den halsbrecherischsten Akkordfolgen in den Fugen wahrte die Geigerin Überblick, Zusammenhänge und Mehrstimmigkeit.

Für eine Live-Situation kam es verblüffend selten vor, dass mal die Saiten fiepten oder die Intonation schwebte.

Insgesamt waren Julia Fischers Artikulation und zeitlicher Gestaltung wenig von den Erkenntnissen der historischen Aufführungspraxis anzumerken. Aber der jungen Musikerin das anzukreiden, hieße zu verkennen, dass an diesem Abend eine Künstlerin ihre ganz eigene Lesart der Solosonaten vortrug: schlüssig und zutiefst beeindruckend.