Schwarz-Weiß-Filme schaffen Distanz, die Farbfilme bringen uns das Weltkriegsgeschehen schockierend nahe.

Doku: Der Krieg, ARD, 21.00 Uhr

Über die frühlingsgrünen Wiesen Flanderns rücken 1940 deutsche Panzer auf Dünkirchen vor. In grellem Gelbrot lodernde Flammen aus den Fensterhöhlen Londoner Wohnhäuser, die von deutschen Bomben getroffen wurden. Ein kleines blondes Mädchen in rotem Kleid wehrt sich verzweifelt gegen einen Erwachsenen, der ihm eine Gasmaske aufsetzen will - Szenen aus der ersten Folge der dreiteiligen Dokumentation unter dem Titel "Der Krieg", die die ARD heute Abend startet.

Kriegsbilder haben wir im Fernsehen oft gesehen, diese sind anders. Im historischen Gedächtnis läuft der Zweiten Weltkrieg in körnigem Schwarz-Weiß ab. Die vertrauten Filmbilder haben historische Patina, sie dokumentieren ein weit zurückliegendes Geschehen. Sehen wir solche Szenen aber in Farbe, rücken sie uns auf verstörende Weise nahe.

Als der Zweiten Weltkrieg am 1. September 1939 begann, hatten Techniker der Agfa-Werke im mitteldeutschen Wolfen bereits ein Verfahren zur Herstellung von Farbfilmen entwickelt, aber das Material wurde nur in Ausnahmefällen benutzt. Trotzdem gelang es den beiden französischen Filmemachern Isabelle Clarke und Daniel Costelle, im Laufe von mehr als zwei Jahren eine ganze Reihe von Filmsequenzen zu entdecken, die während des Krieges von Soldaten, aber auch von Kameraleuten und Amateuren in Farbe gedreht wurden. Darüber hinaus fanden sie im Rahmen ihrer aufwendigen Rechercheaktion in 17 Ländern und mehr als 100 Archiven völlig unbekannte schwarz-weiße Filmdokumente, die sie nachträglich kolorieren ließen. Technisch war die Produktion des französischen Senders France 2 eine Herausforderung. So wurden etwa für den Soundtrack die Motoren historischer Flugzeuge wieder in Gang gesetzt, um den originalen Klang zu erzeugen. Die größten Probleme bereitete das Kolorieren der Schwarz-Weiß-Filme, das nur zwei Firmen (in Paris und San Diego) beherrschen. Manchmal erforderte das Einfärben einer einzigen Filmminute einen ganzen Tag.

Auf der Grundlage dieses Materials entstand schließlich die Dokumentation, die im Herbst in Frankreich unter dem Titel "Apokalypse" lief und für erhebliches Aufsehen sorgte. Tatsächlich wirken diese Filmbilder mit ihrer merkwürdigen aquarellhaften Farbigkeit realer und authentischer als die immer wieder gezeigten Schwarz-Weiß-Sequenzen. Diese Film-Doku kommt ohne die einordnenden Statements von Historikern, ohne Zeitzeugenberichte oder nachgestellte Spielszenen aus. Es gibt eine Flut von farbigen Bildern, die vor allem den Alltag zeigen - das, was der Krieg den Menschen tagtäglich angetan hat. So sieht man Menschen ins Gesicht, die nur wenige Momente später sterben werden wie die blutjungen GIs, die am 6. Juni 1944 bei der Landung in der Normandie ins Feuer deutscher Maschinengewehre stürmen müssen. "Es mag im Kontext von Krieg als Thema zynisch klingen, aber diese ungewohnte, eigene 'Ästhetik' schafft neue Assoziationen. Vielfach bewirkt sie eine schockierende Nähe zu den Ereignissen", meint ARD-Chefredakteur Thomas Baumann, der sicher ist, dass diese Produktion auch jüngere Zuschauer erreichen und beeindrucken wird.

Folgen II und III: 8. und 15. März, jeweils 21.00 Uhr