Kein Gegenstand ist sicher vor dem Arte-Themenabend. Nichts, das zu abwegig oder zu weit hergeholt wäre. Womit man sich beim deutsch-französischen Kultursender gern über vier Stunden hinweg befasst, in Spielfilmen und Reportragen, reicht von Depression über Afghanistankrieg bis hin zur Paarung Dichter und Alkohol. Auch frivoleren Themen wie Dessous und Striptease wendet man sich gerne zu. So auch diesmal: "Puffgeschichten" ist der Fernsehabend überschrieben, der mit Louis Malles Spielfilm "Pretty Baby" aus dem Jahr 1978 startet und im Anschluss den Dokumentarfilm "Das älteste Gewerbe" der Regisseurin Katia Esson zeigt - ein 90-minütiger Streifzug mit Professionellen durch die bekanntesten Rotlichtviertel Europas: die Hamburger Herbertstraße, der Bois de Boulogne in Paris, Amsterdam rund um die Oude Kerk. Um 23.30 Uhr läuft schließlich "Sonia - Eine etwas andere Liebesgeschichte", das Porträt einer 51-jährigen Intellektuellen aus Brüssel, die "ganz zufällig" zur Prostitution gekommen ist und für die Anerkennung ihres Berufstandes kämpft. "Pretty Baby" erzählt die Geschichte der zwölfjährigen Violet (Brooke Shields), die im New Orleans des 20. Jahrhunderts im Bordell ihrer Familie aufwächst. Es ist der erste Hollywoodfilm des entfernt zur Gruppe der französischen Nouvelle Vague gehörenden Regisseurs Louis Malle, der hier seine Maxime auf die Spitze treibt: "Ich glaube, meine Aufgabe ist es, zu verstören." Er ließ einen Nazikollaborateur im besetzten Frankreich ein jüdisches Mädchen lieben ("Lacombe Lucien"), verspottete das Inzestverbot ("Herzflimmern"), und zeigt in "Pretty Baby" in aller Detailversessenheit den teils beschaulichen, teils grausamen Alltag des lüsternen Plüschetablissements.

Völlig moralfrei und unaufgeregt schildert Malle die Lebensentwürfe der Prostituierten (u. a. Susan Sarandon) und Violets Haltung, Männer ganz selbstverständlich wie Freier zu behandeln. Hat sie schließlich nicht anders gelernt. Demjenigen, der ihre Jungfräulichkeit für 400 Dollar ersteigert, erklärt sie: "Ich bin gut!" und "Du bist mein idealer Mann!" - und wie Brooke Shields dieseFigur anlegt, fern von Lolita-Getue und Opfer-Gestus, kann man nicht anders, als fasziniert auf dieses Werk zu blicken, das viel weniger sensationslüstern daherkommt, als es klingen mag.

Das käufliche Liebesglück hat seit jeher Filmemacher angezogen, angefangen bei Billy Wilders wunderbarer Komödie über die Dirne "Irma La Douce" aus dem Jahr 1963. Der Surrealist Luis Bunuel verstörte vier Jahre später mit "Belle de Jour", in dem Catherine Deneuve als Arztgattin heimlich in einem Bordell arbeitete. Die harmlosere, nicht minder erfolgreiche Version wählte Garry Marshall 1990 mit "Pretty Woman" und Julia Roberts als lebensfrohe Stricherin Vivian; zuletzt legte Marianne Faithfull als in die Jahre gekommene "Irina Palm" gegen Geld Hand an. Und Hamburgs Vorzeige-Intellektueller Roger Willemsen bereiste Ende der 90er zwei Jahre lang die "Bordelle dieser Welt", fand plüschige deutsche Gründlichkeit in Berlin, Geschäftsmäßigkeit in Las Vegas, Armut und Verzweiflung in Südafrika. Schade, dass dieser Themenabend auf vier Stunden begrenzt ist.