Die amerikanische Schriftstellerin erzählt von ihren Ängsten und Manien. Und geht ihnen mit detektivischem Ehrgeiz auf den Grund.

Hamburg. Es ist das Cover einer Bestsellerautorin. Einer Schriftstellerin, die so berühmt ist, dass sie sich nicht mehr allein über ihre Worte verkauft, sondern auch über die Prominenz, den Namen, das Gesicht. Siri Hustvedt hat ein neues Buch geschrieben und es ist - wobei solch eine Einschätzung bei einer Romanautorin doch immer schwer abzuwägen ist - wohl ihr persönlichstes. Nicht weil sie dem Leser vom Cover in die Augen schaut. Sondern weil sie in "Die zitternde Frau" die Geschichte eines neurologischen Rätsels erzählt, die Geschichte einer berühmten Schriftstellerin und Essayistin, die plötzlich, mitten im Leben und ohne Vorwarnung, von heftigen Krampfanfällen geschüttelt wird. Es ist ihre eigene Geschichte. Siri Hustvedt ist "Die zitternde Frau", der Untertitel dieses autobiografischen Sachbuchs verrät es: "Eine Geschichte meiner Nerven".

Es beginnt nach dem Tod ihres Vaters, als Hustvedt - eine eloquente und öffentlichkeitserprobte Frau - ihm zu Ehren eine Rede auf seinem alten Campus in Minnesota hält. Sie ist dort aufgewachsen, hat einen Teil ihrer Kindheit auf ebenjenem Gelände verbracht, wo er fast 40 Jahre Professor war. Während sie, die nie an Lampenfieber litt, spricht, beginnt ihr Körper unkontrolliert zu zittern. So stark, dass ihre Mutter später bestürzt sagen wird, es sei gewesen, als habe man einer Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl beigewohnt. Siri Hustvedt schiebt den Vorfall auf die Trauer um den Vater - doch es bleibt kein Einzelfall. Das Zittern kehrt wieder, in unregelmäßiger Regelmäßigkeit; die Autorin kann ihre Vorträge mit fester Stimme beenden, doch die Kontrolle über den Körper halsabwärts entgleitet ihr.

Und Siri Hustvedt tut, was eine Frau des Geistes, eine Intellektuelle, in solch einem Fall eben tut: Sie versucht, es zu begreifen. Ihre Suche nach der Diagnose, nach einer Erklärung, entwickelt einen fast schon detektivischen Ehrgeiz. Mitunter wirkt sie mehr wie die Ärztin als wie die Patientin. Nach Monaten der "spekulativen Selbstdiagnose" spricht sie mit Neurologen, Psychologen und Psychiatern - und sie tut, was ihr am vertrautesten ist: Sie liest und liest und liest. Schon als Kind war das Lesen ihre Art, sich die Welt zu erklären, auf gewisse Weise sogar: zu erobern.

Sie atme Bücher ein, hat sie einmal gesagt. Und wenn sie ohne ausreichend Lektüre in einem Flugzeug sitze, steige Panik in ihr auf. Es gab Zeiten, in denen ihr Ehemann Paul Auster - der ja selbst Schriftsteller, Vielleser, Intellektueller ist - ihr Lesepausen verordnet hat, weil er sich über die Manie sorgte, in der sie ihre Bücher verschlang. Sie hat sich die Texte dann in einer Papiertüte ins Haus geschmuggelt.

Wohl auch deshalb ist "Die zitternde Frau" so bemerkenswert, zumal bei einer Autorin wie Siri Hustvedt, die so hochgebildet ist, so schön, so erfolgreich, so faszinierend verheiratet, sogar: so grundsympathisch. In einem warmherzigen Filmporträt der Hamburger Regisseurin Nicola Graef, das am 7. März im Abaton-Kino gezeigt wird und am 21. März auf Arte läuft, zeigt sich die langgliedrige blonde Autorin ungewöhnlich intim. Sie lässt die Kamera nah an sich und ihr persönliches Leben; nie wirkt sie wie eine, die gefallen will, sie strahlt die Gelassenheit einer Frau aus, die in sich ruht.

Vielleicht hat sie deshalb die Kraft, ebendieses Bild von sich zu zerstören - oder jedenfalls: zu stören. Mit einer wahren Besessenheit erforscht sie das, was sie schließlich als "behinderten" Teil ihrer selbst akzeptiert. Es geht um Hysterie und vermeintliche "Normalität" und darum, was den Menschen ausmacht: "Was ist der Charakter? Ist der Charakter nicht die Summe unserer Teile? (...) Ist die Psyche etwas anderes als das Gehirn?", fragt Hustvedt. Sie beschreibt den Prozess ihres "Auseinanderfallens" ohne Scham. Das ist vielleicht das Erstaunlichste an ihrem neuen Buch: die Schonungslosigkeit. Andere würden solch eine Erfahrung womöglich verbergen. Sie macht sie öffentlich. Ihr Leben und ihr Schreiben sind nicht voneinander getrennt.

Schon in ihrem letzten Roman, "Die Leiden eines Amerikaners", an dem Siri Hustvedt sechs Jahre gearbeitet hat, ging es um die Geheimnisse der menschlichen Psyche, um die Geister der Vorfahren, um verwandtschaftliche Verletzungen und das Verlassenwerden. Ihre Hauptfigur war ein selbst nicht ganz stabiler Seelendoktor, der Roman beschäftigte sich mit Psychoanalyse, Neurologie, Philosophie. Im Nachhinein wirkt "Die Leiden eines Amerikaners" wie ein Prolog zum aktuellen Werk.

"Die zitternde Frau" ist kein gefälliges Buch, es fordert den Leser, es strengt an, manche Passagen sind spröde, es steckt viel Fußnoten-Theorie darin, viel gewälzte Fachliteratur. Aber eben auch - in der Filmdoku benutzt der plötzlich in der Hustvedt-Küche auftauchende Salman Rushdie, ein Freund des Hauses, diese Beschreibung - viel von dem, was auch in Siri Hustvedts Prosa zu spüren ist: emotionale Intelligenz. Hingabe. Obsession.

"Die zitternde Frau" ist ein bemerkenswertes Buch, in dem eine bemerkenswerte Frau am Beispiel ihrer selbst von Genie und Wahnsinn erzählt. Und letztlich, vielleicht noch viel mehr, von der Erstaunlichkeit des Menschseins.

"Die zitternde Frau", Rowohlt, 236 S., 16,95 Euro. Die Doku "Ma vie: Siri Hustvedt" läuft am 7. März, 13.15 Uhr, im Abaton (in Anwesenheit der Regisseurin), am 21.3. um 17 Uhr auf Arte