Preise des Festivals gehen auch an Roman Polanski, nach Russland, Schweden, China, Japan, Israel und Rumänien.

Berlin. Bär und Honig - es passt fast zu schön zusammen, um wahr zu sein. Aber tatsächlich ging der Goldene Bär der 60. Berlinale in die Türkei: an Semih Kaplanoglus poetisches Vater-Sohn-Drama "Honig" ("Bal"). "Während der Dreharbeiten waren wir im Wald, und nur zehn Meter von uns entfernt war ein Bär, der Honig aus den Bienenstöcken holen wollte. Als er uns sah, flüchtete er - aber ich glaube, jetzt ist er hier", sagte der ergriffene Regisseur bei der Preisverleihung mit Blick auf die goldene Bären-Statue in seinen Händen.

"Honig", letzter Teil einer Trilogie, ist ein stiller Film über einen Bienenzüchter (Erdal Besikcioglu) und seinen sechsjährigen Sohn (Bora Altas), die zurückgezogen in einem Bergdorf leben und Ausflüge in die Natur unternehmen. Bienensummen, Vogelgezwitscher, sattes Grün - Kaplanoglu zeigt Bilder von märchenhafter, flirrender Schönheit. Gleichzeitig er erzählt vom Verlust eines geliebten Menschen. In einer der schönsten Szenen sitzt der Junge mit seiner Mutter (Tülin Özen) am Küchentisch. Eben haben sie erfahren, dass der Vater im Wald tödlich verunglückt ist. Das verhasste Glas Milch, das die Mutter ihm Tag für Tag vorsetzt und das normalerweise der Vater immer heimlich austrinkt, leert der Junge nun in einem Zug. Als Trost für die Mutter, als stummes, hilfloses Versöhnungszeichen: "Wir schaffen das!"

So verdient dieser Sieg für "Honig" ist, den auch die meisten Kritikern favorisierten, so unerwartet (aber nicht weniger verdient) kam der Silberne Bär für die beste Regie an US-Regisseur Roman Polanski für den (vergangene Woche bereits im Kino angelaufenen) Politthriller "Ghostwriter". Polanski blieb der Verleihung wie schon der Weltpremiere seines Films eine Woche zuvor fern. Er sei gerührt über die Auszeichnung, ließ der Regisseur über seine Produzenten Alain Sarde und Robert Benmussa ausrichten. Polanski war Ende September 2009 auf dem Weg zum Zürcher Filmfestival festgenommen worden.

Sie würden Polanski, so die Produzenten, den Preis in seinem Schweizer Chalet überbringen, wo er unter Hausarrest steht.

Diesen Bären als ein politisches Statement der Jury zu werten wäre zu hoch gegriffen. Wohl aber ist er ein klares Zeichen in Richtung Polanski, dass ihn das Weltkino längst nicht abgeschrieben hat. Es ist zudem eine gerechtfertigte Auszeichnung für den handwerklich besten Film des Festivals. So bestechend komponierte Bilder, einen so gekonnten Spannungsaufbau sah man nirgends. Kein Wunder, dass Polanski in Frankreich derzeit als der neue Hitchcock gefeiert wird. Und wer sagt, dass ein Regiepreis immer nur der Preis für die innovativste Regie sein darf? Anders als bei Nachwuchspreisen werden auf der Berlinale schließlich die eindrucksvollsten Werke prämiert, die den Zuschauer im Kinosessel für zwei Stunden die Wirklichkeit vergessen lassen. "Ghostwriter" war solch ein Film.

Im Vorfeld des Festivals hatte Jurypräsident Werner Herzog in einem Interview noch verkündet, er habe eine Schwäche für das Unperfekte, für Filme mit einem Makel. Verblüffend, dass nun zwei Werke mit den wichtigsten Preisen ausgezeichnet wurden, die keine Schwachstellen zeigen: Polanskis stimmiges Genre-Kino auf der einen Seite, Kaplanoglus bestechend schlichtes Naturschauspiel auf der anderen. Das mag auch der Qualität des Wettbewerbs geschuldet sein, der viele gute, aber keine spektakulären Werke bot. Gehobenes Mittelfeld insgesamt, was die Preisvergabe ungleich erschwert. Die Wahl des Hauptpreisträgers jedenfalls, erklärte Herzog, sei "ganz eindeutig und sehr schnell" gefallen.

Die deutschen Beiträge gingen (wenn man davon absieht, dass "Honig"-Produzentin Bettina Brokemper Deutsche ist), leer aus. Benjamin Heisenberg immerhin hätte man für sein konsequent erzähltes Schicksal eines Marathon laufenden Bankräubers eine Auszeichnung gewünscht, er wurde als Mit-Favorit gehandelt. Der Episodenfilm "Shahada" des Deutsch-Afghanen Burhan Qurbani über junge Muslime in Berlin erhielt zumindest den (Trost-)Preis der Gilde Deutscher Filmkunsttheater.

Den Drehbuch-Bären erhielt der chinesische Regisseur Wang Quan'an für den Eröffnungsfilm "Apart Together"; er widmete seinen Preis der Stadt Berlin und dem Festival: "Hier ist es draußen am kältesten und im Kino am wärmsten." Das stimmt zwar mit Blick auf den Wettbewerb nur bedingt, gilt aber in jedem Fall für den herzerwärmenden türkischen "Honig".

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