Durch einen klugen Deal fand Südafrika 1995 auf dem Rugbyfeld zu einem neuen, den Rassismus überwindenden Nationalgefühl.

Hamburg. Manchmal reicht eine Einladung zum Tee, um große Veränderungen anzustoßen. Im Falle von Nelson Mandela und François Pienaar kam noch ein Gedicht dazu. "Invictus" heißt es, Ernest William Henley hat es geschrieben. Für Nelson Mandela war es ein Mantra zum Überleben während seiner 27 Jahre dauernden Haft - "Ich bin der Herr von meinem Stern, ich bin der Meister meiner Seel'", lauten die letzten Zeilen. Als Mandela, inzwischen frei gewählter Staatspräsident von Südafrika, Pienaar, den Kapitän des südafrikanischen Rugby-Nationalteams, 1994 in seinen Amtssitz nach Pretoria einlädt, zitiert er aus diesem Gedicht.

"Invictus - Unbezwungen" hat jetzt auch Clint Eastwood seinen neuen Film genannt. Darin erzählt er eine Facette aus Mandelas langer Biografie: den Pakt nämlich, den der schwarze Präsident mit dem weißen Sportler schließt. Mandela fordert von Pienaar, mit seinem Team Weltmeister zu werden und ihm zu helfen, die Rassentrennung zu überwinden.

Nun sind Sport und Politik in der Vergangenheit manch unheilige Allianz miteinander eingegangen. Diktatoren haben die olympische Bewegung missbraucht - Adolf Hitler 1936 die Spiele in Berlin oder die chinesischen Machthaber vor zwei Jahren die in Peking mit ihren Pracht- und Machtdemonstrationen. Auch der Weltfußballverband Fifa ging 1978 in die Falle, als er im Folterstaat Argentinien die Fußball-Weltmeisterschaft austragen ließ. Nelson Mandela war die immense Bedeutung des Sports klar - aber er nutzte sie zum Positiven: "Sport kann die Welt verändern. Er kann inspirieren und Menschen vereinen wie sonst kaum etwas."

Als der Rugby-Weltcup 1995 in Südafrika ausgekämpft wurde, stand das Land kurz vor einem Bürgerkrieg. Der von Mandela geführte African National Congress (ANC) hatte die Regierungsverantwortung nach dem Sieg bei demokratischen Wahlen übernommen und die Apartheid abgeschafft, aber der Rassismus teilte das Land weiterhin. Die weiße Minderheit beherrschte Wirtschaft, Polizei und Armee und war immer noch sehr mächtig. Rugby war der Sport der Weißen, das grün-gelbe Trikot der Springboks - so der Name des Nationalteams - ein Symbol für die Apartheid.

Doch Mandela schaffte es, Rugby für seine Zwecke zu instrumentalisieren und den Nationalstolz bei allen Südafrikanern zu wecken. "Ein Team, ein Land" hieß der Slogan. Ihm half bei diesem klugen taktischen Manöver, dass Südafrika nach internationalen Sportveranstaltungen geradezu gierte, denn das Land war zur Zeit der Apartheid geächtet und von internationalen Begegnungen ausgeschlossen.

In Clint Eastwoods Sport-Polit-Drama spielt Morgan Freeman den Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela. Die Initiative zu dem Film ging ebenfalls von Freeman aus, der sich seit Jahren mit der Biografie Mandelas beschäftigt und ihn bewundert. Der afroamerikanische Schauspieler schickte Eastwood das Drehbuch zu "Invictus", das auf John Carlins Buch "Der Sieg des Nelson Mandela: Wie aus Feinden Freunde wurden" beruht, und konnte ihn für dieses Projekt gewinnen. Morgan und Eastwood waren immer mal wieder ein höchst erfolgreiches Team. In dem Spätwestern "Erbarmungslos" spielen sie zwei Freunde, die eine Stadt von einem korrupten Sheriff befreien. Eastwood gewann dafür 1993 bei neun Nominierungen vier Oscars, 2005 wurde sein Boxerfilm "Million Dollar Baby" sechsmal nominiert und gewann wieder vier Trophäen. Morgan Freeman wurde damals als "Bester Nebendarsteller" ausgezeichnet. Auch für "Invictus" ist Morgan Freeman als bester Darsteller nominiert, Matt Damon, der François Pienaar spielt, geht am 7. März ins Rennen um die beste Nebenrolle.

"Invictus" setzt 1990 ein mit Mandelas Entlassung aus dem Gefängnis Robben Island, dem südafrikanischen Alcatraz vor der Küste. 1994 ist er dann gewählter Präsident seines Landes. Morgan Freeman, der für seine Rolle Mandelas Tonfall und seinen Gang studierte und perfekt nachahmte, zeigt die Weisheit dieses charismatischen Politikers und die visionäre Kraft, mit der er seine Aufgabe bewältigt. Bezeichnend für seinen Weitblick sind Szenen wie die, in der er alle weißen Verwaltungsbeamten versammelt und sie fragt, wer gehen und wer bleiben will. "Wer mit mir zusammenarbeiten will, der soll bleiben, wir brauchen doch jeden." Dasselbe macht er mit den Bodyguards seines Vorgängers Willem de Klerk. In der Öffentlichkeit zeigt er sich mit weißen und schwarzen Bodyguards, sehr zum Unwillen seiner schwarzen Leibwächter. "Wir brauchen jeden Stein, um das Land aufzubauen, gleich, welche Farbe er hat", ist einer jener klugen Sätze Mandelas.

"Invictus" ist aber nicht nur das Porträt eines Politikers, sondern auch ein meisterhafter Sportfilm. Bei einem Casting wurden aus 500 Rugbyspielern die Akteure für die Mannschaften von England, Frankreich und Samoa ausgewählt, gegen die Südafrika sich zum Finale gegen Neuseeland durchkämpft. Die Sportszenen sind alle echt, als Berater stand Eastwoods Team Chester Williams zur Verfügung, der einzige schwarze Spieler in der Weltmeistermannschaft. Nur bei den Zuschauern wurde mit visuellen Effekten gearbeitet: Aus 2000 echten Statisten auf den Tribünen des Ellis Park Stadiums wurden 62 000 virtuelle Rugby-Fans. Den dramatischen Verlauf des Endspiels gab die Wirklichkeit vor: Der Kampf des südafrikanischen David gegen den neuseeländischen Goliath wurde erst in der Verlängerung entschieden.

Symbole spielten bei der Entstehung des neuen Nationalgefühls eine entscheidende Rolle. Als Mandela vor Spielbeginn die Mannschaften begrüßte, kam er im grünen Trikot der Springboks mit Pienaars Nummer 6 auf den Rasen - was viele seiner Gefolgsleute als Anbiederung betrachteten. Doch auch hier gab es einen Deal: Trikot gegen Hymne. Pienaar und die Springboks sangen als Nationalhymne das Lied "Nkosi Sikelel' i Afrika" ("Gott segne Afrika") in Xhosa, der Sprache der schwarzen Südafrikaner.

1995 wurde durch ein großes Sportereignis eine Nation geformt - was besonders in Deutschland gut nachvollzogen werden kann. Als die deutsche Fußball-Nationalmannschaft 1954 in Bern Weltmeister wurde, war das für viele Sporthistoriker die wirkliche Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland. Auch die Fußball-WM 2006, als "deutsches Sommermärchen" apostrophiert und von Regisseur Sönke Wortmann als Kinofilm dokumentiert, zeigte die positive Macht eines Sportereignisses auf das Lebensgefühl des gesamten Volkes.

In diesem Jahr wird die Fußball-WM in Südafrika ausgetragen. 15 Jahre nach dem Triumph der Springboks hat das Land erneut Grund zu Stolz und Euphorie. Zwar ist er nicht mehr Präsident, doch wenn am 11. Juni in Johannesburg Südafrika und Mexiko im Eröffnungsspiel gegeneinander antreten, werden die Kameras auf Nelson Mandela schwenken, den Architekten des neuen Südafrika.