Das Glanzstück des US-Bezahlsenders HBO ist spannend - ohne Action und Außenaufnahmen.

Weniger geht kaum, damit Raum bleibt für alles. Ein Zimmer, zwei Sitzmöbel, zwei Menschen, eine halbe Stunde. Eine junge Frau gesteht ihrem zwanzig Jahre älteren Gegenüber, dass sie nicht in ihren Verlobten, sondern in ihn verliebt ist. Ein selbstherrlicher Navy-Kampfpilot schildert, wie er nach einem tragisch endenden Einsatz vor seinem Trauma buchstäblich davonlief, bis zum Herzinfarkt. Ein Ehepaar will wissen, ob es sein Wunschkind abtreiben lassen soll. Drei von vielen Kurzgeschichten, die das Leben schreiben kann, wenn es mal so richtig schlecht drauf ist. Doch geschrieben wurden sie für eine TV-Serie, die symptomatisch ist für den faszinierend anstrengenden Umgang mit der Tristesse der Wirklichkeit. "In Treatment", ein neues Glanzstück des US-Bezahlsenders HBO, macht dort weiter, wo der depressive Mafiaboss Tony Soprano einige seiner finstersten und ergreifendsten Momente hatte: beim Therapeuten.

Charaktere mit Webfehlern haben schon seit Langem Konjunktur auf dem Hochplateau des Qualitätsfernsehens, das US-Sender so virtuos beliefern und bespielen lassen. Der schrullige Privatdetektiv Monk, der Serienkiller Dexter, der grantelnde Mediziner Dr. House und die Ärzte aus "Grey's Anatomy", die Chefetage der Werbeagentur in "Mad Men", natürlich auch Jack Bauer aus "24" - sie alle sind gebrochene, gezeichnete Sonderlinge. Normal ist langweilig, ist die Devise, normal will man ja schon selbst nicht sein; dann doch lieber die beruhigende Erkenntnis, dass andere noch viel größere Macken haben.

Je mehr Komplexe, desto besser, dieser Regel folgt auch "In Treatment", das in geballter Form von 3sat gezeigt wird: Zwei Wochen lang montags bis freitags mit Doppelfolgen, damit immer klar ist, wann welcher seiner vier Patienten vor Westons Praxistür steht. Dr. Paul Weston, den Gabriel Byrne mit minimalistischer Eleganz spielt, gibt hier den nur scheinbar perfekten Neurosenkavalier. Jeweils vier Therapiesitzungen lang hört er zu, in der fünften ist er selbst dran. Dann geht er für eine halbe Stunde Druckausgleich zu einer pensionierten Kollegin, dort darf auch er verwirrt sein, verletzt, wütend und ratlos.

Vorlage war die mit Preisen überschüttete israelische Serie "B'Tipul"; für HBO verlegte Rodrigo Garcia, Sohn des Literatur-Nobelpreisträgers Gabriel Garcia Márquez und Mitautor bei den "Sopranos" und "Six Feet Under", die Praxis nach Maryland. Belohnung: Kritikerlob, etliche Golden Globes und Emmys seit der Premiere vor zwei Jahren.

In der ersten Staffel gönnt Byrne sich noch den Luxus einiger Requisiten, für die zweite hat er sich selbst das versagt. Keine Ablenkungen vom Thema, Konzentration aufs Wesentliche. Kammerspiele vor laufender Kamera.

Jede Folge, die den mitwissenden Zuschauer mit Variationen über den Schlusssatz "Unsere Zeit ist um" verabschiedet, ist wie ein Ausschnitt aus dem wirklichen Leben: Man ahnt oft nur, wie es weitergehen kann. Auf die Faszination seines Dr. Weston angesprochen, hatte Gabriel Byrne eine bestechende Analyse parat: "An ihm erkennt man - wir lügen alle."