Zum Abschluss seiner Solo-Tour überzeugte Jochen Distelmeyer beim Heimspiel in der Markthalle - und das auch noch “Einfach so“.

Hamburg. Jeden Abend zündet die redaktionsinterne Jüngerin von Jochen Distelmeyer neben dem gerahmten Bild von "Jochiboy" ein Räucherstäbchen an und bringt als Opfergabe ein Schälchen Bier dar, welches am nächsten Morgen tatsächlich immer leer ist. Aber wo ist sie, wenn es drauf ankommt? In Indien! Und der zweite Experte meldet sich krank ab - eine halbe Stunde vor Konzertbeginn. Toll! Also muss die Kavallerie einspringen, die bisher stets einen weiten Bogen um Blumfeld und deren jetzigen Ex-Sänger geritten ist.

Blumfeld, Distelmeyer, das ist doch Pop für fünfköpfige männliche Studenten-WGs, die sich morgens die "Sie sucht Sie"-Annoncen in den Stadtmagazinen vorlesen. Intellektuelle! Mit einer grollenden schwarzen Wolke über dem Kopf geht es hastig in die übersichtlich gefüllte Markthalle. Doch die Band, die auf der Bühne steht und in Pullovern und Kragenhemden verdächtig an eben genannte WG erinnert, nimmt einen von Beginn an gefangen. Mit dem ruhigen "Schnee" vom Blumfeld-Abschied "Verbotene Früchte" nimmt Distelmeyer die mitgebrachte unterkühlte Winterstimmung auf und lässt sie ausklingen in Zitate von Roy Orbison ("Only The Lonely") und Beatles ("Ticket To Ride"). Anschließend werden Kontrast- und Lautstärkeregler hochgezogen in von drei Gitarren getragene Feedback-Orgien zu "Wohin mit dem Hass?" und "Einfach so". Kraftvoll krachende Klasse. "Hinter der Musik (totes Kapital)" trifft hier nicht zu, der Mann hat feine Songs für zwei schöne Stunden, sei es aus alten Zeiten ("Wir sind frei", "Weil es Liebe ist") oder aus neuen, laut oder leise.

Eigentlich kann niemand ernsthaft "Seid ihr noch da?"-Mitgrölspiele veranstalten, dann eine brennende Kippe an den Gitarrensattel klemmen und anschließend eine Ballade wie "Regen" singen, ohne peinlich zu sein. Distelmeyer, jetzt im verschwitzten Shirt, tut es. Und ist nicht peinlich, sondern gut. Die Frage an den Nachbarn, ob er gern "Sie sucht Sie"-Annoncen liest, wird verneint, die Vorurteile brechen zusammen. Und wir brauchen ein gerahmtes "Jochiboy"-Bild sowie Räucherstäbchen. Bier ist noch im Kühlschrank.