Der Regisseur sitzt im Hausarrest in der Schweiz fest und schickt Hauptdarsteller Ewan McGregor in den Interview-Marathon und auf den roten Teppich.

Berlin. Im Adlon-Hotel plätschert ein großer Zimmerspringbrunnen in der Mitte des Foyers. Drumherum sind Sessel mit schwerem, goldfarbenem Brokatüberzug platziert. Zwei blonde Frauen mit hohen Wangenknochen trinken ihr Vormittagsbier, ein befrackter Kellner serviert in einem Silberschälchen Zitronensorbet.

Inmitten dieser privilegierten Unwirklichkeit wirkt Ewan McGregor wie eine Geistererscheinung. Was gut passt. Im neuen Film von Roman Polanski, der am Freitag auf der Berlinale seine Weltpremiere erlebte und kommenden Donnerstag in die deutsche Kinos kommt, spielt er den titelgebenden "Ghostwriter". Einen Mann, der sein Geld damit verdient, Biografien über abgehalfterte Rockstars zu Bestsellern zu machen, der keine hohen Ansprüche hat an sich und das Leben und mit den politischen Zirkeln nichts anzufangen weiß, in die es ihn hineinverschlägt.

Nur widerwillig nimmt er den Auftrag an, die Memoiren des früheren britischen Premierministers Adam Lang (Pierce Brosnan) fertigzustellen - nachdem sein Vorgänger tot am Strand angespült wurde. Todesursache ungeklärt. Der Ghostwriter bleibt ein Außenseiter, ein fremdelnder Beobachter, 120 Filmminuten lang. "Tag, ich bin Ihr Geist", sagt er etwas pikiert, als er zum ersten Mal dem Ex-Premierminister die Hand schüttelt.

"Hallo, ich habe das Frühstück verpasst", sagt Ewan McGregor mit bedauerndem Lächeln zur Begrüßung und tunkt ein fettiges Croissant in seine Kaffeetasse. Er trägt einen schwarzen Wollpulli mit Loch am rechten Ärmel, schwarze enge Hose und einen schwarzen Schal, dazu strubbeligen Sieben-Tage-Bart. Er gibt Interviews im Halbstunden-Takt, später muss er vor die Fernsehkameras. Wahrscheinlich würde er sich lieber in aller Ruhe ein Butterbrot schmieren, doch er schaut sein Gegenüber mit gletscherblauen Augen aufmerksam an und signalisiert: Das, was wir hier gerade tun, interessiert mich sehr. Vielleicht, weil ihm dieser Kinofilm wirklich am Herzen liegt.

Es ist in zweierlei Hinsicht ein besonderer Film geworden. Ein klassischer Thriller nach dem Bestseller "Ghost" von Robert Harris, geradlinig und voll von hitchcockschem Suspense - und gleichzeitig eine Reflexion über Macht und Politik: darüber, was Macht mit Menschen anstellt und wie sie unter Druck reagieren. Außerdem ist "Der Ghostwriter" seit mehr als 20 Jahren der erste zeitgenössische Thriller von Oscar-Preisträger Roman Polanski und der erste Film, den er seit "Chinatown" wieder in Amerika angesiedelt hat. Die Umstände wollen es, dass der Film auch als Kommentar des Regisseurs in eigener Sache gelesen wird. Ein Werk über einen Politiker, der sich für seine früheren Taten, mutmaßliche Kriegsverbrechen, verantworten muss. Gedreht von einem Regisseur, der ebenfalls gezwungen ist, sich für sein früheres Tun vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen.

Am 26. September 2009 ist Roman Polanski auf dem Flughafen Zürich verhaftet worden, die sprichwörtlichen Geister der Vergangenheit haben ihn eingeholt: 1977 hatte er die damals 13-jährige Samantha Gailey sexuell missbraucht, mehr als 30 Jahre später soll er nun endlich in den USA vor Gericht gestellt werden. 42 Tage lang saß Polanski im Gefängnis, derzeit hält er sich in seinem Schweizer Chalet auf, das "Ghostwriter"-Team hält ihn auf dem Laufenden, wie der Film vom Publikum angenommen wird. "Wir telefonieren einmal täglich mit ihm und bringen ihn auf den neuesten Stand", sagt Ewan McGregor. "Ausgesprochen schade" finde er, dass Polanski bei der Premiere nicht dabei sein könne, schließlich sei der Film mit jeder Faser ein Polanski-Film. "Auch in meiner Darstellung steckt viel von Polanski - viel mehr, als Regisseure üblicherweise in meine Rollen eingreifen", sagt McGregor. Er spielt den namenlosen Ghostwriter als Mann ohne Eigenschaften. Als jemand, der erst zu kämpfen anfängt, als es fast zu spät ist

Gedreht wurde "Der Ghostwriter" im vergangenen Frühjahr unter anderem auf Sylt und Usedom; die Filmförderung Hamburg-Schleswig-Holstein gab Geld hinzu. Da die Geschichte eigentlich an der amerikanischen Ostküste spielt, Polanski aber aus oben genannten Gründen die USA nicht betreten konnte, ohne seine Festnahme zu riskieren, wurden die Inseln kurzerhand zu Martha's Vineyard umgeschminkt. Im Film sieht man viel Meer und menschenleere Strände, peitschenden Wind und Regen. Ein Ort der Abgeschiedenheit, an dem die Hauptattraktion manchmal aus nicht mehr als den beeindruckenden Wolkenspielen am Himmel besteht. Die Strandvilla, in der sich der Ex-Premier mit seiner Frau (Olivia Williams) und seinen Angestellten zurückgezogen hat, ist kein idyllisches Feriendomizil, sondern gleicht einer Festung, auf Sand gebaut. Die Bodyguards mögen es hier gar nicht, wenn man sich unerlaubt entfernt.

"Es war ein seltsames und zugleich tolles Gefühl, sich an Orten aufzuhalten, an denen sonst kein Mensch ist", sagt McGregor über die Dreharbeiten auf Sylt. Wenn sich der Himmel wider Erwarten von seiner blauen Seite zeigte, wurde der Dreh verschoben; die Atmosphäre sollte einsam, grau und elend sein. An solchen Tagen sei er am Strand entlangspaziert, das Meer war in der Ferne zu sehen und sein Gesicht irgendwann so kalt, dass er es kaum mehr spürte. "Brrr", McGregor legt beide Hände schützend aufs Gesicht und zieht die Schultern hoch, als würde allein die Erinnerung ihn frösteln lassen.

Dann stopft er sich schnell den letzten Croissanthappen in den Mund, während er bereits aus der Suite hinaussprintet. Die Fernsehkameras warten. Zurück bleibt ein benutzter Teller, wie von Geisterhand voll gekrümelt.