Chinesische Tragikomödie eröffnet das Jubiläums-Festival in der Hauptstadt. “Tuan Yuang“ erinnert an die deutsche Teilung.

Berlin. Als Dieter Kosslick vor sechs Jahren die Berlinale eröffnete, stand er ganz allein auf dem roten Teppich. Der Festival-Chef war bei seinem Eröffnungsfilm "Unterwegs nach Cold Mountain" eigentlich auf Nummer sicher gegangen. Doch am Ende kamen weder Nicole Kidman noch Jude Law, nicht einmal Renée Zellweger (die in diesem Jahr in der Jury sitzt). Diesen Moment der Einsamkeit, gab Kosslick zu, wolle er nie wieder erleben.

Er hatte in der Vergangenheit nie sonderlich Glück mit seinen Eröffnungsfilmen. Und bei manchen ahnt man, dass sie nur des einen oder anderen Stars wegen ausgewählt wurden. In diesem Jahr indes wirft Kosslick seine eigene Maxime über Bord. Diesmal hat niemand abgesagt; er setzte von Anfang an auf "Tuan Yuan" ("Apart together"): ein besinnlicher Film aus der Volksrepublik China, der mit keinem großen Namen prunken kann. Der nicht nur unbekannte chinesische, sondern auch noch Schauspieler aufbietet, die 82, 78 und 72 Jahre alt sind. Kein Glamour also für Paparazzi und Society-Magazine, die auf einem Festival auch gefüttert werden wollen.

Man darf diese Wahl getrost eine mutige nennen. Man darf sich aber schon fragen, ob da einer den ständigen Konkurrenzkampf mit den anderen A-Festivals in Cannes und Venedig gar nicht mehr führen will. Auch die, seien wir ehrlich, beweisen nicht immer ein glückliches Händchen beim Auftakt. Aber fast immer behilft man sich mit großen Stars und Bestselleradaptionen, die ein Mindestinteresse garantieren. Auch Kosslick hätte solches zur Hand, mit Polanskis "Der Ghostwriter", der heute, und Scorseses "Shutter Island", der morgen läuft. Doch entweder konnte deren Crew erst am Wochenende, oder aber Kosslick ist es wirklich ernst und er will ein Zeichen setzen. "Tuan Yuan" jedenfalls ist kein "großes Kino", keine kinematografische Überwältigung, sondern ein kleines, stilles Kammerspiel mit langsamem Erzählfluss, unaufgeregter Kamera und verhaltenem Spiel. Und politischen Untertönen, die man, wie so oft, wenn sie aus China kommen, in feinen Andeutungen suchen muss.

Kulturstaatsminister Bernd Neumann wusste Kosslicks Entscheidung zu würdigen. Der CDU-Politiker hat die Berlinale zu ihrem 60. Geburtstag als Festival "für die Überwindung von Ausgrenzung und Hass und für Toleranz" bezeichnet. Zum ersten Mal seien hier Filme aus den osteuropäischen Ländern und später der DDR gezeigt worden, die sonst nie oder erst sehr viel später den Weg in die westdeutschen Kinos gefunden hätten. Auch der Eröffnungsfilm knüpfe an den traditionellen Ruf als Brückenbauer an - nun für das asiatische Kino, sagte Neumann und fügte hinzu: "Von den Amerikanern gegründet, um der von Krieg und Zerstörung ruinierten Stadt neuen Glanz, Glamour und internationales Flair zu geben, gehört das Festival für mich zu den Gründungsmythen der Bundesrepublik."

Der Staatsminister begrüßte, dass im Wettbewerb zwei deutsche Filme und weitere fünf Filme mit deutscher Beteiligung an den Start gehen. Auch dies sei ein Beleg für den Erfolgskurs des deutschen Films. Die Internationalen Filmfestspiele werden seit 2001 allein von der Bundesregierung gefördert. In diesem Jahr werden sie mit rund 6,5 Millionen Euro aus dem Haushalt des Kulturstaatsministers unterstützt.

Das Thema von "Tuan Yuang" kennt man noch aus dem geteilten Deutschland: Familienzusammenführung nannte man das. Hier wird erstmals nach mehr als 50 Jahren nach der Gründung der Volksrepublik und der Abspaltung des Inselstaates Taiwan einer Gruppe ehemaliger Kuomintang-Soldaten aus Taiwan gestattet, nach Shanghai zu reisen. Liu Yansheng (Ling Feng) trifft so seine große Liebe Qiao Yu'e (Lisa Lu) wieder, die er damals, auf der Flucht vor den Kommunisten, zurücklassen musste. Qiao hat längst mit einem Unteroffizier der kommunistischen Truppen eine große Familie gegründet. Und doch ist klar, dass sie zusammen sein wollen.

Regisseur Wang Quan'an ist ein Berlinale-Dauergast. Von seinen fünf Filmen zeigte er vier in Berlin, "Tuyas Hochzeit" gewann 2007 den Goldenen Bären. Innerhalb des Festivals wäre Wangs jüngstem Werk ein Achtungserfolg sicher gewesen, aber ist er ein Eröffnungsfilm, der Laune macht für die nächsten zehn Festivaltage? Diese Frage muss sich "Tuan Yuan" schon gefallen lassen, und erst recht Kosslick, der darauf beharrt, er hätte ihn nicht ausgewählt, wenn er ihn nicht für einen idealen Auftakt ansähe.