Bach, Koroliov und das Publikum: Der russische Pianist Evgeni Koroliov feiert eine Sternstunde der Klaviermusik in der Laeiszhalle.

Hamburg. Zu den Tugenden der Alten, wie die barocken Meister in der Originalklangszene durchaus respektvoll genannt werden, gehört die Einheit von künstlerischem Ausdruck und Maß. Johann Sebastian Bachs sogenannte Goldberg-Variationen, ein Gipfelwerk der Klavierliteratur, verkörpern diese Synthese in besonderem Maße. Bach hat mit ihnen seiner Zeit einerseits weit voraus gegriffen und Spuren bis zu Liszt und Wagner gelegt. Andererseits hat er, ganz Kind seiner Zeit, seinem Feuerwerk an musikalischen Einfällen wie nebenbei eine ordnende Form gegeben.

Eine beglückende Lesart des Zyklus war jetzt in der Laeiszhalle zu erleben. Der Russe Evgeni Koroliov, seit über 30 Jahren Wahlhamburger, strafte den Lehrsatz vom Propheten in der eigenen Stadt Lügen und lockte ein erstaunlich großes Publikum in den Großen Saal.

Koroliov hat sich seinen Zugang zu Bachs Musik zeitlebens selbst erarbeitet. Dennoch klang sein kristallklares Spiel in vieler Hinsicht und im besten, unakademischen Sinne historisch informiert: So dehnte Koroliov Vorhalte, bis sie körperlich spürbar wurden; er nahm sich die agogische Freiheit, die die Musik wie frisch erfunden klingen ließ, und wahrte doch den metrischen Bezugsrahmen. Die Kadenzen führte er in eine Stille zurück, dass einem der Atem stehen bleiben wollte. Und stets war die Basslinie als Pulsgeber, als Kontrapunkt, als eigenständige Stimme präsent.

Das war eine Seite von Koroliovs Spiel. Die andere - keinesfalls als Gegensatz zu verstehen - war die hinreißende Frische seiner Interpretation. Jede Wiederholung wurde zu einer kleinen Überraschung: Mal variierte er die Verzierungen, mal die Klangfarbe oder die dynamische Entwicklung. Anmutig drehten sich die Tanzsätzchen; mühelos kreuzte Koroliov die Hände und ließ seine Finger durcheinander wimmeln, als hätte der Steinway zwei Manuale wie das Cembalo, für das Bach das Werk einst verfasste. Und mit dem großen Adagio entrückte Koroliov die Anwesenden endgültig in eine andere Welt: Wie Findlinge setzte er die Schwerpunkte, er ließ die Dissonanzen schaben und den Schluss in einem schier endlosen Decrescendo verklingen.

Selten hat man den Großen Saal so knisternd aufmerksam erlebt. Die wenigen Huster waren der verzeihliche Tribut ans Wetter. Und ob der Titel nun von Bach stammt oder nicht (die Forschung zweifelt) - lassen wir ihn doch der Musik. Er ist so hübsch.