Der Fotograf André Gelpke über die heikle Beziehung zwischen Fotograf und Akt-Modell und warum genau das so harte Arbeit ist.

Hamburg. Die Frau steht nackt in einem schmucklosen Durchgang. Das Gesicht wirkt müde, die bloße Brust eher traurig. Auch die Erotik der stark geschminkten Frau auf dem Nachbarfoto hat eher etwas Geschundenes, Verlorenes, als dass sie herausfordert. Zwei weitere Frauen mit verstörtem Gesichtsausdruck entpuppen sich als Transsexuelle. Dem Fotografen André Gelpke haben sich diese Menschen dort präsentiert, wo sie ohnehin nackt waren: In ihrem Arbeitsumfeld auf der Reeperbahn. Hier lichtete der Otto-Steinert-Schüler als junger Mann zwischen 1973 und 1978 seine Serie "Sex-Theater" ab, die derzeit in der Ausstellung "Nude Visions": 150 Jahre Körperbilder in der Fotografie im Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen ist. Am Anfang stand auch hier, wie immer in der Aktfotografie, eine heikle Zweierbeziehung: die des Fotografen zu seinem Modell.

"Meine Modelle hatten kein Problem mit Nacktheit, weil sie mehrfach ihre Show aufgeführt haben", erzählt Gelpke, der heute an der Hochschule für Kunst und Gestaltung in Zürich lehrt. "Damals hat man unter dem Deckmantel der Erotik knallhart Sex gezeigt. Das hat mich interessiert, weil es schwer zugänglich war, geheimnisvoll, unheimlich." Mit seinem Auge interpretierte er das Vorhandene. Die Ergebnisse wirken voyeuristisch und konfrontierend zugleich. Gelpke versteckte sich nicht hinter der anonymen Kamera, er fing die Persönlichkeit einer Person ein, um die Doppelmoral einer Gesellschaft zu entblößen, die die Shows im Verborgenen goutierte.

Eine Stripteasetänzerin, die ihren Hund ausführte, verschaffte ihm nach und nach Zugang zum Sextheater "Salambo". "Das war Urwald für mich. Ich hätte auch nach Afrika fahren können." Langsam baute er Vertrauen zu den Darstellerinnen auf. "Ich wollte keine schönen nackten Frauen fotografieren, sondern das Marionettenhafte, die Trauer und die Selbstlüge. Die Transsexuellen und ihre billig mit irgendwelchen Kühltaschen operierten Brüste."

Stärker an der inszenierten Schönheit ihres Modells war dagegen die junge Fotografin Tina Demetriades für ihre Diplomarbeit "Der Körper - Ästhetik, Abstraktion, Form" an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) interessiert. Die Fotos verfremden den Körper fast ins Gegenständliche. "Ich versuche, einen anderen Blick, andere Ansichten zu finden und damit den Betrachter zu überraschen", sagt Demetriades.

Für ihr Modell Hanna Green hatte der Entstehungsprozess mit Glamour wenig zu tun. Im Laufe einer mehrstündigen Sitzung musste sie die Posen minutenlang halten. "Da ging es eher um die Formen als um die Nacktheit selbst", sagt Hanna Green. Die 29-Jährige, im Hauptberuf Projektmanagerin einer Softwarefirma, stand schon für Demetriades' Aufnahmeprüfung Modell. Und dann tat sie es immer wieder. "Mir bringt das Spaß. Natürlich ist es leichter, wenn man sich gut kennt. Aber es geht ja um sehr abstrakte Darstellungsweisen." Bedenken, sich vor aller Welt zu entblößen, hatte Hanna Green nicht. "Ich habe immer Mannschaftssport betrieben."

Bedenken kennt auch Bildhauerin Isabella Devinast (41) nicht. Seit 24 Jahren steht sie für Zeichenkurse in Kunsthochschulen Modell, derzeit an der HAW. "Das ist harte Arbeit. Man steht oder sitzt manchmal eine Stunde in einer Position und nach fünf Minuten fangen die Finger an zu kribbeln", sagt sie. "Es gibt nichts Unerotischeres, als wenn 30 Studierende um mich herumstehen, während ich eine Position halten muss. Ich könnte auch ein Möbel sein." Die Studierenden versuchen unter Zeitdruck, die Proportionen, die Haltung und die Verkürzungen zu erfassen. Den Blick der Lernwilligen nimmt Devinast kaum wahr. "Ich meditiere oder konzentriere mich auf Konzepte für meine eigenen Stahlskulpturen, sonst halte ich den Schmerz nicht aus."

Zu Beginn habe sie Hemmungen gehabt, sich vor männlichen Studenten zu entkleiden, aber bald stellte sich heraus, dass keine unangenehmen Situationen zu erwarten waren. "Es geht um das Handwerk." Mit dem Mythos von dem Malerfürsten, der sich nach etlichen quälenden Sitzungen in seine Muse verliebt, hat das nichts zu tun. Die Beziehungen des Künstlers zu seinem Modell sind so vielfältig, wie die daraus erwachsenen Kunstwerke. Das gilt auch für die mit unterschiedlichen Motiven aufgeladenen Körperbilder, die die Aktfotografie hervorgebracht hat. Der Blick, ob dokumentarisch-kritisch oder eher ästhetisch an Formprinzipien orientiert, entscheidet.

Nude Visions. 150 Jahre Körperbilder in der Fotografie bis 25.4., Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, Di-So 11-18 Uhr, Do 11-21 Uhr; Fotodiplom 2010 3. bis 5.2., HAW, Armgartstraße 24, 9 bis 20 Uhr; www.fotodiplome.de ; Stahlskulpturen Isabella Devinast; www.devinast.de