Der russische Pianist Evgeni Koroliov spielt am Mittwochabend Bachs Goldberg-Variationen in der Laeiszhalle - ein rarer Leckerbissen.

Hamburg. Evgeni Koroliov möchte nicht stören. Die Hand auf der Klinke, lauscht der Herr mit Brille, säuberlich gescheiteltem Haar und hoch geknöpftem Hemd auf das Klavierspiel hinter der Tür. Eigentlich waren wir in seinem Unterrichtsraum in der Musikhochschule verabredet. "Ach, es geht ja auch hier", sagt er. So findet das Gespräch halt auf dem Gang statt.

Seinem unauffälligen Äußeren nach könnte man den Pianisten Koroliov für einen Bankbeamten halten. Aber wo immer er auftritt, wird er von Publikum und Kritikern gefeiert. Koroliovs Interpretationen von Bach, Haydn, Debussy oder auch Prokofjew haben Maßstäbe gesetzt, seine Aufnahmen sind vielfach preisgekrönt. Und der Komponist György Ligeti erklärte einst, auf der einsamen Insel wolle er bis zum letzten Atemzug Bach hören, gespielt von Koroliov.

Koroliov hat beim Schleswig-Holstein Musik Festival gastiert und bei der Bachwoche Ansbach. Er ist in Japan und Nordamerika aufgetreten, im Pariser Théâtre des Champs-Élysées und im Konzerthaus Berlin.

Heute Abend spielt er in der Laeiszhalle Bachs Goldberg-Variationen - ein rarer Leckerbissen. Denn der 60-Jährige lässt sich vom Musikbetrieb nicht vereinnahmen. "An der Karriere hat mir nie gelegen", erzählt er in seinem russisch-melodischen Tonfall. "Zu viele Konzerte wären mein Künstlertod. Ich muss die Musik jedes Mal spielen, als wäre sie gerade neu entstanden. Darin sehe ich meine Existenzberechtigung."

Diese Demut, diese Unbedingtheit hört man an seinem Spiel. Nie streicht er seine hohe Virtuosität heraus. Mit größter Ruhe singt er eine Bach-Air aus, ganz dem Moment hingegeben; die bachsche Polyphonie kann man bei ihm förmlich mit Händen greifen.

Koroliov hat in Moskau bei großen Lehrern gelernt, bei Heinrich Neuhaus etwa und Maria Judina. Aber was Bach betraf, haben sie ihn sich selbst entwickeln lassen. "Ich habe keine Vorbilder gehabt", sagt er und flüstert fast - wie immer, wenn etwas nach Eigenlob klingen könnte. "Ich habe Bachs Strukturen nie analysiert. Sie kommen einfach zu mir."

Koroliov hat Bach schon als Siebenjähriger entdeckt. Da spielte er, nach gerade zwei Monaten Klavierunterricht an der Moskauer Zentralmusikschule, das c-Moll-Präludium. Als er bei einem Gesprächskonzert den kanadischen Pianisten Glenn Gould erlebte, war er Bach endgültig verfallen: "Ich kann es nicht genau begründen. Die Musik ist so logisch - ich glaube, sie ist nach dem Gesetz komponiert, auf dem diese Welt beruht."

Seit 1978 ist Koroliov schon Professor in Hamburg. Seine Schüler verehren ihn als Menschen wie als Musiker. "Er sucht immer weiter", sagt die Studentin Alina Azario. "Das will er auch von uns: dass wir nie zufrieden sind mit dem, was wir machen." Koroliovs Starschülerin Anna Vinnitskaya, die inzwischen selbst Professorin an der Hochschule ist, erzählt: "Viele große Klavierpädagogen geben ihren Studenten vor, wie sie spielen sollen. Aber Koroliov hilft jedem, seine eigene Persönlichkeit zu entfalten."

Und so begann Vinnitskaya ihre Karriere mit dem romantischen russischen Repertoire. Ganz anders als ihr Lehrer. Für den waren Tschaikowsky und Rachmaninow Pubertätssünden: "Danach kamen andere Komponisten, die mich mehr interessierten." Zum Beispiel Bach.

Evgeni Koroliov heute, 19.30, Laeiszhalle, Karten zu 20,- bis 55,- unter T. 01805/66 36 61