Hamburg. Oben blaue Gitarren, die mit verzerrt gezeichneten Schalllöchern an den stumm schreienden Schmerz in Edvard Munchs morbiden Bildern erinnern. Unten auf der Bühne ein ehemals todkranker Mann, der seine Instrumente mit veritabler Vitalität spielt: einer der bemerkenswerten Kontraste, die diesen Konzertabend prägen. Knapp vier Jahre nach seinem vermeintlich letzten Abschied von Hamburg kam Chris Rea am Freitag wieder ins ausverkaufte CCH - ein umjubeltes Comeback.

Seine Leidenschaft gehört den erdigen, rauen Klängen, also spielt und singt der 58 Jahre alte Brite, der vor einigen Jahren eine schwere Krebserkrankung überlebte, das Konzert als große Slide-Guitar- und Blues-Session mit starken Soli, Improvisationen und überraschenden Variationen. Seinen Fans, wie der Künstler in Würde gealtert, ist er einige Konsenssongs schuldig, das weiß Chris Rea, obwohl er fast eineinhalb Stunden lang die direkte Ansprache des Publikums ebenso vermeidet wie große Gesten und aufwendige Showeffekte.

Also geben sich "Josephine" und "Julia" ebenso ein Stelldichein wie Radiohits der Marke "On The Beach", "Stony Road" oder "Looking For The Summer" - aber eben nie als bloß steril reproduzierte Studioversionen: mal total verrockt, mal als extremer Downtempo-Reggae, mal als monumental erzähltes Blues-Epos - und immer exzellent begleitet von der Background-Band (zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug, Keyboards).

Seine Gitarren lässt Chris Rea mit perfekter Bottleneck-Technik leidend und klagend klingen, spielt sie aber mit einer lebensbejahenden Intensität, die jeden im Saal erfasst. Zu einem Höhepunkt wird so der Titelsong der Tournee: "Still So Far To Go" ist nicht weniger als eine rasante Rhythm-&-Blues-Lawine. Ein unglaublich druckvoll musiziertes, vor Energie vibrierendes Opus, in dem auch Reas Stimme vollends zur Geltung kommt - älter, rauer, kraft- und ausdrucksvoll wie selten zuvor. Man fragt sich, ob er tatsächlich der Typ ist, der alle Jahre wieder im Advent mit "Driving Home For Christmas" aus allen Lautsprechern nervt.

Hier nervt er nicht, sondern schickt die mittlerweile euphorischen Menschen nach rund zwei Stunden mit einem furiosen Finale ins Wochenende: Das an sich belanglose Liedchen "Let's Dance" wird zum zehnminütigen Drama, in dem die Musiker wirklich alle stilistischen und künstlerischen Register ziehen. Und Chris Rea mit einem Anflug von Selbstironie und dunkelstem Darth-Vader-Organ schwört, "niemals zu alt zum Tanzen zu werden".